Noch ein Brief an Dierkes

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

21.01.2009

Hallo, lieber Herr Dr. Jurga,
in Ihrem Fall gilt leider auch das Sprichwort: "Die Blindesten sind diejenigen, die nicht sehen wollen". Mir Antisemitismus zu unterstellen, weil ich die israelische Regierungspolitik nicht teile, löst bei mir nur noch Kopfschütteln aus.
Schade um die inzwischen vielen Prosteste aus Israel selbst, die aktuelle Erklärung von zahlreichen jüdischen Mitbürgern in England gegen die Kriegspolitik der Regierung Olmert - wahrscheinlich alles nur Anzeichen von Selbsthass und Todestrieb.
Ich hatte sie für fairer und intelligenter gehalten.

MfG Dierkes, 15.01.2009

 

 

Dr. Werner Jurga
Stellvertretender Vorsitzender der
Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG)
AG Duisburg-Mülheim-Oberhausen

 Duisburg, den 17.01.2009

 Offener Brief

Herrn Hermann Dierkes
OB-Kandidat für DIE LINKE Duisburg

 

 

Sehr geehrter Herr Dierkes,

 

in Ihrer spontanen und wie ich finde - etwas hastigen - Reaktion auf mein Schreiben haben Sie sich vorgestern darauf beschränkt, mir einen Mangel an Fairness und Intelligenz zu bescheinigen sowie den Ihnen von mir unterstellten Antisemitismus mit  Hinweis auf – wie Sie formulieren - die vielen Proteste in Israel selbst und die aktuelle Erklärung von zahlreichen jüdischen Mitbürgern zurückzuweisen.
Nachdem inzwischen zwei Tage verstrichen sind, gehe ich davon aus, dass ich von Ihnen keine weiterführenden Erläuterungen mehr erwarten kann.

Der Reihe nach: abgesehen davon, dass ich finde, dass Sie in Ihrer kurzen eMail – übrigens im Gegensatz zu mir - persönlich geworden sind, habe ich keinerlei Anlass, Ihnen Unfairness vorzuwerfen. Kleinigkeit, nicht der Rede wert.
Ich kann auch nicht sehen, was an meinem Brief unfair sein sollte. Er ist zweifellos unfreundlich; aber unfair? Was auch immer Sie meinen mögen – und ich kann nicht ausschließen, dass mir in meinem Zorn eine Unachtsamkeit unterlaufen ist -, wenn dem so wäre, täte mir dies leid. Fairness ist geboten; meine politische Bewertung Ihres antijüdischen Ressentiments lässt allerdings kein mildes Urteil zu.

Über Ihren Intelligenzquotienten habe ich mir bis dato ehrlich gesagt noch keinerlei Gedanken gemacht. Ich halte mich auch heute nicht für befugt, ein Urteil über Ihre Geisteskraft ablegen zu dürfen. Allerdings erlaube ich mir als promovierter Politologe den Hinweis, dass es recht ungewöhnlich erscheint, dass Sie als Spitzenkandidat Ihrer Partei nicht etwa Geschlossenheit anraten, sondern zu einem Thema, in dem Ihre Partei gespalten ist wie in keinem anderen, eine abgründige Stellungnahme abgeben, wie einer Ihrer Genossen treffend bemerkt.
Dass ich diese Strategie nicht so recht zu verstehen mag, könnte ein Aspekt sein, der Ihre Fairness und meine relativ geringe Intelligenz belegt.

Langer Rede kurzer Sinn: ich werfe Ihnen überhaupt nichts vor. Es wäre absurd, einem Antisemiten Antisemitismus vorwerfen zu wollen. Da Sie, Herr Dierkes, jedoch behaupten, dies als einen Vorwurf zu empfinden, muss ich annehmen, dass Sie meiner – gar nicht unintelligenten - Beweisführung in meinem letzten Schreiben nicht so recht folgen konnten.
Sie haben Recht: sowohl in Israel selbst wie auch in Großbritannien (und in den USA und anderswo) gibt es Juden, die das schreckliche Blutvergießen im Gazastreifen zum Anlass für ihre Demonstrationen und Kampagnen nehmen, die das Existenzrecht des Staates Israel bestreiten. Hierbei handelt es sich jedoch keineswegs, wie Sie möglicherweise irrtümlich annehmen, um
eine entschiedene demokratisch-sozialistische und Friedensbewegung, sondern um ultra-orthodoxe Juden, die auch – gemeinsam mit NPD-Leuten - an Ahmadinedschads Holocaust-„Forschungskongress“ teilnahmen. Dass die ultra-orthodoxen jüdischen Feinde des Staates Israel sich in ihren gesellschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen von der Linkspartei nicht unerheblich unterscheiden, werde ich wohl nicht zu belegen haben.
Mit Ihrem (angedeuteten) Einwand, Juden könnten ja gar keine Antisemiten sein, könnten Sie – das gebe ich Ihnen zu – Recht haben. Aber es ist doch etwas anderes, wenn religiöse Fanatiker eine „anti-zionistische“ Position aus heiligen jüdischen Schriften ableiten zu können meinen, als wenn ein säkularer Nicht-Jude dem jüdischen Staat seine Legitimation abspricht. Sie beziehen sich in Ihrer Ablehnung des Staates Israels ja nicht auf Tora- oder Talmud-Auslegungen. Aber worauf denn dann?

Die israelische Linke, auf die Sie sich zu Unrecht beziehen, bekennt sich in ihrer Mehrheit zum jüdischen Staat. Dies gilt bspw. auch für den Friedensaktivisten Uri Avnery. Der 1923 im Münsterland als Helmut Ostermann geborene Träger des Alternativen Nobelpreis, der die israelische Regierung massiv kritisiert, tritt selbstverständlich für das Existenzrechts Israels ein, wie auch für das Recht der Palästinenser auf ihren eigenen Staat. Dies jedoch ist bei aller Differenz auch eine Grundposition der gegenwärtigen israelischen Regierung, der deutschen Bundesregierung und der DIG.
Auch in Israel selbst gibt es eine entschiedene demokratisch-sozialistische und Friedensbewegung, belehren Sie die Deutsch-Israelische Gesellschaft, und dass diese unter sehr schwierigen Bedingungen kämpft.
Wenn Sie uns diese nebulöse Andeutung, die Böses erahnen lässt, etwas näher erläutern könnten, wäre ich Ihnen dankbar. Wenn Sie sich nicht dem Verdacht demagogischer Hetze gegen Israel aussetzen wollen, sollten Sie diesen Vorwurf an Israel etwas präzisieren.

Sie geben vor, mit Ihrem Offenen Brief auf die DIG-Presseerklärung vom 12.09.2009 zu antworten, und merken an:
Sie finden leider kein einziges Wort der Kritik oder des Bedauerns an dem brutalen Krieg in Gaza.
Unsere knapp gehaltene Erklärung befasst sich, wie aus ihrer Überschrift unschwer zu erkennen, mit der Milli-Görüs-Demonstration am 10.09.2009. Darin findet sich kein Wort zum gegenwärtigen Gazakonflikt; es sei denn, Sie betrachten unsere – landläufig unumstrittene, von Ihnen aber bemängelte - Einstufung der Hamas als Terrororganisation so. Brutaler Kriegzu Ihren Gunsten unterstelle ich, dass diese unglückliche Formulierung allein Ihrem triefenden Agitationsstil geschuldet ist, und dass Sie nicht von der Möglichkeit eines sanften Krieges ausgehen. Die Kriegsführung beider Seiten ist brutal. Auch für mich ist das Vorgehen der israelischen Armee mitunter schwer erträglich. Doch das Verhalten der Hamas, ihre mit Raketen und anderen leichten wie schweren Waffen ausgerüsteten Kämpfer (nicht uniformiert) in Wohngebieten, Schulen, Kindergärten, Gotteshäusern und UNO-Einrichtungen zu verschanzen, ist gegen jedes internationale Recht und in der Tat von beispielloser Brutalität. Unschuldige Zivilisten als menschliche Schutzschilder zu missbrauchen, um danach blutverschmierte Kinder den Fernsehkameras zu präsentieren, was dann von Kumpanen beispielsweise in Duisburg nachgespielt werden kann, zeugt von einer solch unvorstellbaren Barbarei, dass ich mich wirklich wundern muss, wie Sie als Mensch einer ziemlich friedlichen Gesellschaft das Leichenzählen der Mörderbande so ungerührt mitmachen können:
Während die moralisch sicher auch nicht zu rechtfertigenden, aber militärisch doch völlig wirkungslosen Kassam-Raketen nicht einen Bruchteil der Opfer auf israelischer Seite gefordert haben ...

Je häufiger ich diesen Satz gelesen habe, Herr Dierkes, desto mehr ist mein Erschrecken dem Entsetzen gewichen. Die Kassam-Angriffe sind zwar nicht zu rechtfertigen, räumen Sie ein; moralisch nicht zu rechtfertigen. Soll das heißen, dass Ihnen andere Ebenen als die moralische einfielen, auf denen der Raketenterror gegen die Zivilbevölkerung zu rechtfertigen wäre? Das Adverb „sicher“ kann ich kaum anders verstehen. „Sicher“, moralisch gesehen – hier muss ein „aber“ folgen. Das tut es auch: aber militärisch doch völlig wirkungslos.
Verzeihung, Herr Dierkes, das macht auch nach zigmaligem Lesen nicht eine Spur von Sinn. Die Sache gehört sich sicher nicht, aber sie ist auch Quatsch, sagen Sie, und deshalb möge man sie nicht bewusst hochspielen.
Mein Freund in Beer Sheva ist gewiss bereit, für Sie ein Hotelzimmer zu buchen. Und ebenso gewiss hat das Hotel ein Schutzraum. Nur zu!
Ihr Genosse hat Ihnen etwas anderes empfohlen, nämlich am Rande der nächsten islamistischen Demo Handzettel der Linkspartei zu Frauenemanzipation oder Zwangsehen zu verteilen. Diesem Vorschlag schließe ich mich an.

Damit Sie weder die DIG noch mich – wie angekündigt - in eine falsche Ecke stellen: zu dem inneren Zusammenhang - und die Unterschiede – zwischen Antisemitismus und Islamophobie habe ich mich auf meiner Webseite bereits vor vielen Monaten geäußert. Auch viele Türken in Duisburg sehen – oder ahnen zumindest – diesen Zusammenhang. Und deshalb sagen sie es auch, Sprecher wie einfache Bürger, dass sie die Vorgänge am 10. Januar in der Claubergstraße für schlimm halten. Und deshalb käme mir ein Wort wie Migrantenbevölkerung niemals über die Lippen.

 

Werner Jurga, 17.01.2009

 

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