SPD-Neuanfang im Weltuntergang

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Ja doch, ich hatte Schiss gehabt – am Mittwoch. Das gebe ich ja zu: ich hatte das echt alles ein bisschen zu eng gesehen. Also ganz eng, sozusagen. Die Welt und der schäbige Rest des Weltalls (eins meiner Lieblingswörter) zusammen geknubbelt auf Nadelöhr-Größe. Bei aller Liebe: das ist dann doch echt zu eng.

Und dann kam das auch alles so plötzlich und unerwartet, das heißt: es kam ja nichts. Ich jedenfalls fühlte mich irgendwie vom Feeling her nicht wirklich gut informiert.
Fest steht: gewissenlose Forscher haben Mittwoch losgelegt – in Genf. Am CERN, wie der Laden genannt wird.
Die größte Forschungsmaschine der Welt namens LHC legte, wie dies in der schier grenzenlosen Technikeuphorie so formuliert wird, einen „Bilderbuchstart“ hin.

Exakt um 9.33 Uhr hatte es erstmals auf einem der Kontrollschirme geblitzt: Evans konnte melden, dass der Protonenstrahl erfolgreich die ersten 3 der insgesamt 26,7 Kilometer langen, mit starken Magneten bestückten Vakuumröhre durchquert habe.

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Schwarzes Loch
© STScI/NASA

„Ring frei für die größte Forschungsmaschine der Welt“

titelte derWesten ganz locker am Mittwoch Mittag. Sehen Sie mal - wie, Sie leben noch? - also macht der LHC auch keine schwarzen Löcher.
Die Sorge, LHC könnte Schwarze Löcher erzeugen und die Erde verschlucken, hat sich nicht bestätigt. Das bedeutet so viel wie: sollte dieses Hammer-Gerät aus Versehen doch irgendwelche schwarzen Löcher „produzieren“, dann, ja dann hieße es: „Gute Nacht!“

Das Schönste ist ja, dass es sich hier einfach um eine grobe Irreführung handelt, worauf ich Sie bereits vorgestern aufmerksam gemacht hatte.
Nun glauben Sie bloß nicht, dass das Thema Weltuntergang nur deshalb erledigt ist, weil Sie noch leben. Was hat denn die ZEIT heute online um 18:36 Uhr gemeldet?
Die ersten Kollisionen und damit die eigentlichen Experimente des Teilchenbeschleunigers finden nicht vor Ende dieses Jahres statt.

Vielleicht auch deshalb stellt es für die Lobbyisten und die direkten Nutznießer des LHC-Größenwahns mit den kleinsten Teilchen kein allzu großes Problem dar, eine gute Presse für ihr apokalyptisches Treiben zu bekommen. So schreibt „Der Spiegel“ beispielsweise:
Das größte Experiment der Welt hat begonnen - und die Anwohner des Kernforschungszentrums Cern nehmen's gelassen. An gefährliche Schwarze Löcher glaubt kaum jemand in Genf. … Junge Cern-Mitarbeiter nehmen kursierende Weltuntergangsszenarien sogar genüsslich auf die Schippe.
An und für sich eine Frechheit, wenn man darüber nachdenkt. Da werden renommierte Wissenschaftler, also auch und gerade  deutsche, die sogar mit ihren berechtigten Warnungen ihren Weg in die Tagesschau finden, von so Nachwuchs-Diplom-Fuzzys durch den Kakao gezogen. Dabei geht es doch nicht um die Einstiegsgehälter dieser Schnösel, sondern um unser aller Überleben!

Gegner fürchten Weltuntergang

Eine private Initiative hat beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg Beschwerde gegen das Forschungsprojekt, an dem auch deutsche Wissenschaftler beteiligt sind, eingelegt. Sie fürchtet, die Anlage könnte Schwarze Löcher erzeugen, die einmal die Erde verschlucken.

Das erklärt Prof. Rössler im Fernsehen, indem er Zeichnungen mit Kreide an die Tafel malt. Verstehe dann sogar ich und sage mir dann: „Scheiße, der Kerl hat Recht! Das war´s ja dann wohl …“
Ja doch, ich hatte Schiss gehabt – am Mittwoch. Richtig Angst, obwohl ich eigentlich gar nicht so der Typ dafür bin. Ich bin nämlich eher so ein furchtloser Mann! Sicher, Bedenken, ja Bedenken schon – eigentlich ständig und immer. Bedenken, ich finde: das geht. Furchtlos, aber nachdenklich.
Meine Scheiß-Angst hat sich inzwischen wieder gelegt, war so eine Art Ausrutscher. Ich hatte mich nämlich so auf das Klassentreffen gestern Abend gefreut. Und schon gedacht … nee, nee, hat stattgefunden, war richtig schön.

Und dann bin ich ja, wie Sie wissen, auch enorm politisch. Schwer SPD, wie früher bei uns in der Straße so gesagt wurde. Und da war ich schon richtig traurig, weil doch gerade am letzten Wochenende meine Partei einen Neuanfang gemacht hat – und dann so was.
Überlegen Sie nur einmal: „Neuanfang“. Nun ist das ja mit dem Anfang schon so eine fixe Idee; denn ich sage ja immer: „Von nix kommt nix!“ Kann ich Ihnen auch nur empfehlen; es passt wirklich immer. Wenn Ihnen irgendwie irgendwo irgendwann einmal nichts Gescheites zu einer soeben vorgetragenen Story einfallen sollte, sagen Sie einfach: „Tja,

Von nix kommt nix!

Wie gesagt: das passt immer; oft geht sogar urknallmäßig richtig die Post ab. Bei jeder gepflegten Stehparty in gehobenen Kreisen wird Ihr Hinweis auf das Regressum ad Infinitum sogleich mit dem würdigen Respekt gewürdigt.
Verkehren Sie allerdings in einem plebejischen Milieu, sollten Sie jedoch an dem gedanklichen Konstrukt eines Anfangs festhalten. Wenn Sie auch noch gewählt werden wollen – oder auch nur für die Medien arbeiten -, setzen Sie am besten noch eins drauf und versprechen einen „Neuanfang“. Also statt: von nix kommt nix – jetzt mit dem Versprechen: jetzt noch neuer! Von nix kommt echt überhaupt nix!
Und dann knallt es richtig! Ein uriger Urknall. Und, sehen Sie: das ist eben die dialektische Einheit von Anfang und Ende und umgekehrt: der Anfang von etwas Neuem ist immer auch das Ende von etwas Altem, oder so, meinte auch schon Hegel oder wer. Und deshalb knallt das dann auch ständig so.

Aber da brauchen Sie jetzt wirklich keine Angst zu haben. Das da mit dem Chaos-Professor in der Tagesschau geht nämlich noch weiter. Echt, der Rössler selbst sagt das; der ist nämlich gar kein Untergangsprophet. Im Gegenteil: gut Ding will Weile haben. Auch so ein Urknall ist, ähnlich wie Rom, nicht in acht Tagen gebaut worden. Bis so ein kleines schwarzes Loch uns mal alle weggefressen hat, das kann sich auch ganz schön hinziehen. Nix mit ratzeputz runtergeschluckt: das kann dauern! Mindestens vier Jahre, wahrscheinlich mehr. Mehr als eine Legislaturperiode.
Dies könnte im schlimmsten Fall nur 50 Monate dauern, sagte der Chaostheoretiker und Professor für theoretische Biochemie an der Universität Tübingen, Otto E. Rössler.
Na dann. Habe ich mir ja ganz ohne Grund Sorgen um die SPD gemacht. Zeit satt für den Neuanfang. Vorwärts SPD! Brüder, der Sonne entgegen, Brüder dem Lichte empor! So ein

Teilchenbeschleuniger - Hoffnung für die "Gottesteilchen"

titelt derWesten. "Gottesteilchen"? Bestimmt rein philosophisch gesehen. Jedenfalls: gute Sache, so ein Urknall – besser als ein schwarzes Loch

Werner Jurga, 13.10.2008

 

eMail von Tobias Kaufmann an Frank Walter Steinmeier
Was würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre?
Urknall oder schwarzes Loch?

13.09.2008

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