Die Frage aller Fragen

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

So, das wäre geschafft. Der Tiefpunkt der Krise ist erreicht. Aber das wissen wir ja jetzt schon seit Mitte Mai. Womit sich jetzt folglich die Frage stellt: wie geht es weiter? Das ist natürlich die Frage aller Fragen. Heutzutage. Damals, also früher, also ganz viel früher, jetzt schon über hundert Jahre her, da konnte man noch ganz locker fragen: Was tun?

Die Antwort fiel nicht schwer. Sie lautete – sinngemäß: „Ja Mutter, was soll da Unsereins schon tun? Da macht Unsereins gar nichts dran!“ Aber, wie das so ist: hat sich eine Frage beantwortet, stellt sich sogleich die nächste. Und so quälten und quälen wir uns jetzt schon seit Jahrzehnten mit der Frage: „Wie geht es?“ Klar: hier lag die Antwort nicht so auf der Hand wie bei der ersten Frage. „Muss!“ pflegten wir all die Jahre zu erwidern – aber doch recht kleinlaut. Logisch; denn uns selbst war ja nur allzu klar, dass dies keine vernünftige Antwort war.
„Wie geht es?“ - „Muss!“ Was haben wir uns all die Jahre und Jahrzehnte hängen lassen! Es bedurfte schon einer wuchtigen Krise, der schwersten Wirtschaftskrise seit gottweißwielang, die uns endlich die Augen geöffnet hat.
Nicht, dass wir inzwischen wüssten, wie es uns geht. Genau genommen wollen wir das auch gar nicht wissen. Jedenfalls nicht so ganz genau. Denn – da können Sie lachen oder auch nicht – das ist ja klar: es muss! Es muss tatsächlich. Sie zum Beispiel müssen schon sehen, wo Sie bleiben. Denn das Leben ist Kampf.
Und erst, wenn Sie das einmal eingesehen haben, sind Sie reif für die nächste Frage. Für die letzte Frage, wie gesagt: für die Frage aller Fragen. 

Wie geht es weiter?

Damit haben Sie den Höhepunkt der Erleuchtung erklommen. Der dialektische Dreischritt des zeitgenössischen lebensphilosophischen Forschungsprozesses ist komplettiert. Ich fasse zusammen: 1. Was tun? – Nix! 2. Wie geht es? – Muss! 3. Wie geht es weiter? – Ja, was fragen Sie mich?!

„Das ganze Leben ist Erwartungsmanagement“, gab neulich Frau Dr. Merkel zum Besten. Am besten also, Sie erwarten nix! Jetzt stellen wir uns aber mal ganz dumm und tun so, als seien Sie nur neugierig. Oder besser: wissensdurstig. Oder noch anders: es überkommt Sie der Forschungsdrang.
Fachgebiet: Ökonomie. Konkret: gesamtwirtschaftliche Prognostik. Ein schweres Brot. Da können Sie sich ja vorstellen, wie viele renommierte Wissenschaftler allein in Deutschland damit beschäftigt sind herauszufinden, wie es weitergeht in der deutschen Wirtschaft. Und die rechnen alle und rechnen und rechnen. Mit den Daten, also den Rohdaten, die sie mühsam erheben. Das hört nie auf. Und so erheben sie alle und erheben und erheben. Danach heißt es dann wieder: rechnen und rechnen und rechnen.

Und weil da bislang nie etwas Gescheites bei rausgekommen ist, hat der Chef eines der renommiertesten der renommierten Forschungsinstitute, nämlich der Prof. Zimmermann vom DIW, vor kurzem den Vorschlag unterbreitet, man solle jetzt erst einmal damit aufhören, Wirtschaftsprognosen abzugeben. Denn da komme ja doch nie etwas Gescheites bei raus. Das sei einfach alles viel zu schwer, jedenfalls während der schweren Krise. Und deswegen sollten alle jetzt erst einmal damit aufhören, Vorhersagen abzugeben, jedenfalls während der schweren Krise. Selbstverständlich bei fortlaufenden Bezügen, weswegen es ja so wichtig sei, dass alle mitmachen.
Zimmermanns Vorschlag ist jedoch auf gewisse Bedenken gestoßen. Tenor: da könne man ja auch gleich die Institute alle abschaffen, zumindest aber schon einmal den Sachverständigenrat. Die Bedenken hatten solch ein Ausmaß angenommen, dass – ja, wie soll ich sagen? – der Vorschlag im Grunde – ja, wenn Sie so wollen – gescheitert ist.
Und so ging das alles wieder los: die Rezession geht zu Ende, der Aufschwung kommt früher als erwartet usw. usf. Sicherheitshalber hat sich auch das DIW in diesen Reigen eingereiht und dasselbe erzählt, wie alle anderen, laut Focus:

Signale für konjunkturelle Bodenbildung verdichten sich

Damit dürfte auch dem letzten, zum Beispiel auch dem Statistischen Bundesamt klar sein, dass man auf so ziemlich alles verzichten kann – im Grunde auch muss -, nur eben nicht auf das DIW. Denn jetzt, wo die Krise vorbei ist, wahrscheinlich jedenfalls, kann auch das DIW wieder treffende Prognosen liefern. Bestimmt sogar! Wenn die Zahlen stimmen. Zimmermann zieht jetzt wohl erst einmal zu Felde und vor Gericht für die Freiheit der Wissenschaft.

Dies erfuhren wir gestern Morgen in der Herrgottsfrühe. Die Welt war noch in Ordnung. Seit Tagen meldete Institut um Institut, Bank um Bank und Experte um Experte, dass es das wohl war mit der Rezession. Und dann das!
Gestern Mittag kamen die Daten des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) raus. Schock!
Ich zitiere Zeit Online, die gestern Mittag unter Berufung auf dpa und Reuters folgendes meldet:

ZEW-Prognose
Finanzexperten dämpfen Konjunkturoptimismus

Die Wirtschaft wird in diesem Jahr nach Ansicht von Finanzexperten massiv einbrechen.
Mist! Wobei: Dieses Jahr? Stimmt ja auch; da hat noch nie irgendjemand irgendetwas Anderes behauptet. Also: was tun?
Sie sehen vor allem die Banken in der Pflicht, wieder mehr Kredite zu vergeben.
Ja richtig! Deshalb wurden die ja auch gerettet, in letzter Sekunde. Stimmt ja auch …
2010 könnte die Wirtschaft in Deutschland wieder anziehen – der Arbeitsmarkt hat die Talsohle aber wohl noch nicht erreicht.
Könnte sein, nächstes Jahr, könnte auch nicht sein, der Arbeitsmarkt zum Beispiel hat aber wohl noch nicht, macht aber auch nichts; denn hier sind wir nicht auf dem Arbeitsamt, sondern an der Börse. Also sachlich, im Falle des ZEW: wissenschaftlich.

Der Index des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) für Deutschland verringerte sich im Juli um 5,3 Punkte und liegt nun statt bei 44,8 Punkten im Vormonat nur noch bei 39,5 Punkten. Trotzdem liegt das Konjunkturbarometer damit noch immer über seinem historischen Mittelwert von 26,3 Punkten.
Okay: nicht mehr 44,8, sondern nur noch 39,5 – historisch gesehen aber immer noch eine ganze Menge! 26,3 – kann man den Leuten gar nicht oft genug sagen. Armut! Wenn ich das schon höre! Wir damals, nach dem Krieg, das war Armut; aber …
Ich muss mich etwas zusammenreißen. Sachlich gesehen, wissenschaftlich gesprochen: wichtig ist die historische Perspektive. Die ganze Dimension: was tun, wie geht es, wie geht es weiter. 

Die Daten bestätigten, dass die deutsche Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um etwa sechs Prozent einbrechen werde, sagte ZEW-Präsident Wolfgang Franz.
Ja schön, das wissen wir ja nun. Wie es weitergeht, hätten wir gern auch noch gewusst!
"Die Wachstumsraten dürften sich bis ins nächste Jahr entlang der Nulllinie entwickeln." Dann allerdings, irgendwann "im Verlauf des nächsten Jahres", werde die Konjunktur langsam wieder anziehen. Das seien die guten Nachrichten.
Das muss ich aber auch sagen! Immer schön entlang der Nulllinie, und dann irgendwann einmal langsam, aber ganz langsam. Nur keine Hektik! Wobei natürlich, wenn man drüber nachdenkt, auch bei geringem Wachstum die Arbeitslosigkeit steigt. Oder? Herr Professor, ist es nicht so?
Dem Arbeitsmarkt stehe das Schlimmste aber noch bevor. Laut Franz wird die Zahl der Arbeitslosen 2010 bis auf fünf Millionen wachsen. "Mit etwas Glück wird die Arbeitslosenzahl etwas unter dieser Marke bleiben."
Logisch: ein bisschen Glück gehört dazu. Oder das Kurzarbeitergeld, das ja auf zwei Jahre verlängert worden ist. Aber was sollen wir jetzt schon über 2011 spekulieren?! Überhaupt: Spekulieren! Daher haben wir doch den ganzen Salat. Und jetzt wollen Sie von mir wissen, wie das mit der Wirtschaft so ganz genau laufen wird.

Ich will Ihnen mal etwas sagen: wenn ich das immer so ganz genau wüsste, dann könnte ich ja auch – so wie die Kunden von Herrn Franz – an der Börse, verstehen Sie?! Dann müsste ich nämlich nicht Tag für Tag … - zugegeben: ich muss auch nicht. Und im übrigen geht Sie das gar nichts an. Geben Sie lieber auf sich selbst ein bisschen Acht! Denn man kann ja nie wissen. Wie das alles weitergeht. Bis zum nächsten Mal, Frage Vier: wie soll das alles nur weitergehen?

Werner Jurga, 15.07.2009

 

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