Beck in Cicero

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Hoppla, der hat weh getan: „Über Kurt Beck politische Witze zu machen, ist derzeit so billig wie San-Marino-Scherze im Weltfußball.“ (Wolfram Weimer: Warum zerfällt die SPD? in: Cicero 10/2007, S. 162 - alle anderen Zitate ebenda). 

Hier kommt Kurt

Habe ich nicht auf der Seite vorher „Hier kommt Kurt“ intonieren lassen? Mein Gott, was bin ich billig! Zwar macht auch die Financial Times in ihrer heutigen Aussage ihre Späßchen über Kurt. Heißt nichts: das ist der erste Satz der monatlichen Kolumne Wolfram Weimers. Und der ist Herausgeber und Chefredakteur des Cicero, somit Sprecher der deutschen Intelligenzija, folglich berechtigt festzulegen, welcher Scherz Esprit hat ... oder eben billig ist. Dass im gleichen Heft auf Seite 82 „Kurt allein zu Haus“ ist, wie es in der „Abrechnung“ von Brigitte Seebacher (ja: die Brandt-Witwe) heißt, hat auch der Herr Chefredakteur zu verantworten, wird dann wohl auch nicht billig sein.
Denn im Cicero ist gar nichts billig; dort gibt es sogar einen „Salon“. Da wird dann auch schon mal Jacques Juillard zitiert mit: „Das Wort Linksintellektueller war lange Zeit ein Pleonasmus, heute wird es zu einem Oxymoron.“ – Ja, was machen Sie jetzt – googlen oder Fremdwörterduden suchen? – Kleiner Tipp von mir: nichts anmerken lassen, sagen Sie so Etwas wie: „Das ist es ja!“ Oder noch besser: „totalement d`accord!“

ein psychologisches Dilemma ...

Ganz so klasse wie Juillard kann freilich auch ein Wolfram Weimer nicht anrühren; aber immerhin! Wir erfahren, dass der SPD „die Faszination des Wollens, die Magie der Verheißung“ abhanden gekommen sind – ein „psychologisches Dilemma“, das – ja logisch! – zu Lasten der „der avantgardistischen Evidenz“ geht. Jetzt mal ehrlich: glauben Sie, dass das der Kurt Beck Schuld ist? Der Kurt doch nicht! Sagt auch der Chefredakteur -  und, dass die SPD „ständig satt und pausbäckig“ wirke. Ich sage jetzt aber nicht, dass da der Kurt dran Schuld ist. Ich bin doch nicht blöde! Da flöge ich nämlich echt aus dem Salon Cicero.
Denn da herrscht nämlich Anstand, sorry: Dezenz. Sowas hat nämlich keinen Stil: „die Verlierer-Stigmatisierung eines braven Politikers so systematisch – bis hinein ins Physische. Das ist nicht nur menschlich unfair.“ – Ja, hauen die unseren Kurt? Dass die Luft an der Spitze etwas dünn wird, hatte Beck ja von Platzeck erfahren; sonst wäre er es doch nicht geworden. Dass er bereits drei Tage nach seiner Wahl der Öffentlichkeit mitgeteilt hatte, dass ihm gerade am Sonntag, wenn er hin und wieder mal einen Tag Ruhe hat, immer so schummerig wird – Schwamm drüber: Anfängerfehler. Aber Profi im Küssen pfälzischer Weinköniginnen! Einer von uns (nicht unbedingt von mir), aber sonst so: wie Du und irgendwer.
Und da stimme ich dem Cicero zu – in Sachen „Anstand“ und in allem Ernst: systematisch einen Menschen als Verlierer abzuqualifizieren, das – wie soll ich sagen – gehört sich nicht! Weder bei braven Politikern noch bei Arbeitslosen, ob nun brav oder nicht. Ein Beispiel:
Nehmen wir nur mal an, Sie seien Politiker, gingen brav Ihrer Arbeit nach, indem Sie auf irgendeinem Dorfplatz die Vorzüge des Aufschwungs anpreisen. Wenn Ihnen dann ein angetrunkener Schmierlappen mit dem Ruf „Gibt doch keine Arbeit!“ in´s Wort fallen sollte, bewahren Sie die Contenance! Grenzen Sie ihn nicht aus! Sehen Sie in ihm einen Menschen, der unter den psychischen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit leidet! Und brüllen Sie freundlicherweise auf gar keinen Fall: „Wasch Dich erst mal und rasier´ Dich, dann kriegst Du auch Arbeit!“ Der Cicero hat es ja jetzt erklärt: „Verlierer-Stigmatisierung (ist) menschlich unfair.“ Mehr Dezenz, oder in Kurts Sprache: „Anstand!“

... aber Du kannst es schaffen

Achten Sie stattdessen auf ihre eigene Frisur („ein Mann muss nicht schön sein, aber gepflegt“), auch mal auf Ihren Bart und – ganz wichtig – auf Ihren Blutdruck! Nicht dass Ihnen schummerig wird! Das Wichtigste ist natürlich die Psychologie, die Seele der Partei und die Ihre: glauben Sie an sich. Die Partei weiß nicht so recht, wofür sie da ist; aber sie weiß, wofür Sie, mein Lieber, da sind. Sie müssen da oben auf dem Gipfel sitzen; die können da gar nicht wieder mal einen runterschubsen!
Also: seien Sie ganz entspannt und angstfrei! Nochmal: Ihnen kann gar nichts passieren! Achten Sie aber auf den richtigen Umgang! Meiden Sie Proletenmärkte! Gehen Sie lieber dorthin, wo man sich Sorgen um Sie macht – muss ja nicht beim Cicero sein (die reden immer so geschwollen), kann ja auch beim Anzeigenblatt um die Ecke sein. Und wenn der Volontair dort schreibt, Sie seien ein „braver Politiker“, der „menschlich unfair behandelt“, weil „systematisch als Verlierer stigmatisiert“ wird, dann werden Sie ganz tief spüren: hier ist meine Heimat, hier bin ich zuhaus.

 

Werner Jurga, 16.10.2007
 

 

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