Zum 9. November 2008

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Die Nachwuchspolitiker von heute: aalglatt, biegsam, schmiegsam. Alle irgendwie liberal und natürlich: karriereorientiert. Inzwischen geht das auch schon bei den Frauen los. Dabei hat man schon von diesen smarten Typen seit langem genug. Das Schlimmste an diesen Lieblings-Schwiegersöhnen ist ihre Austauschbarkeit. Einer wie der Andere. Man möchte sich beinah die Zeiten von Wehner und Strauß zurück wünschen: das waren wenigstens noch Typen! Echte Kerle; nicht immer ganz astrein, zugegeben – dafür aber kantig …

Philipp Mißfelder

Ich gebe zu: es gibt sie, diese Milchreisbubis; ich nenne auch keine Namen. Sehen Sie sich einfach mal eine Polit-Talkshow im Fernsehen an! Doch auch hier gilt es, vor Pauschalurteilen zu waren. Es gibt halt auch Andere, die nicht so einfach in dieser lächelnden Masse untergehen. Einer von ihnen ist Philipp Mißfelder, der Bundesvorsitzende der Jungen Union.
Mißfelder ist ein Politiker, der sagt, was er denkt. Auch dann, wenn es nicht allen gefällt. Selbst dann, wenn er weiß, dass es nicht allen gefällt. Er ist bereit, für seine Überzeugungen einzustehen, auch wenn negative Sanktionen zu erwarten sind. Er verfährt nicht nach dem Motto: „Allen gut; Keinem weh.“ Mißfelder bringt das, was von einem Politiker zu erwarten ist, nämlich auch unangenehme Wahrheiten zu Tage.

Etwas provokativ zwar; aber so werden die Dinge wenigstens mal zum Thema. Sie erinnern sich gewiss, dass Mißfelder es war, der darauf hingewiesen hat, dass Leute ab 70 ja vielleicht noch Dies oder Jenes brauchen, aber eben nicht unbedingt ein neues Hüftgelenk. Wer sich in diesem fortgeschrittenen Alter diesen Spaß noch gönnen möchte, der solle den halt selbst bezahlen, so Philipp Mißfelder.
Das war ein Tabubruch. Alle waren entsetzt, auch die Bildzeitung, die uns neulich hat wissen lassen: „Jede Wahrheit braucht einen, der sie ausspricht!“ Dieses Land braucht einen Philipp Mißfelder, wenn es nicht im Einheitsbrei der Political Correctness versinken will. Ständig dieses humanitäre Gutmenschen-Gedöns, das jede unangenehme Wahrheit zukleistert.

Zum Beispiel heute in einer Woche, da jährt sich zum 70ten Mal die von den Nazis so genannte „Reichskristallnacht“. Und so hatten sich Vertreter aller im Bundestag vertretenen Parteien zusammen gesetzt, um zu diesem Anlass eine gemeinsame Erklärung zu verfassen, die als Resolution vom Bundestag – möglichst einstimmig – beschlossen werden soll. Denn die „Kristallnacht“ markiert wie kein anderes Ereignis den Auftakt zum millionenfachen Mord an den Juden Europas. Und durch eine einstimmige Resolution des Bundestags soll deutlich gemacht werden, dass für alle Deutschen – unabhängig ihrer Parteizugehörigkeit – die Verurteilung der Nazi-Barbarei und die Solidarität mit Israel Teil der Staatsräson ist.
„Sollte“ sollte man jetzt wohl sagen; denn die Unionsfraktion im Bundestag hat, als der Text im Grunde schon fertig war, ihren Vertreter im interfraktionellen Gremium schnell noch ausgetauscht. Seit kurzer Zeit vertritt Philipp Mißfelder CDU und CSU.

Mit zwei Behauptungen ging der junge Mann für´s Grobe sogleich zu Werke:

  • Bei der DDR habe es sich um einen antisemitischen Staat gehandelt, und
  • Bei der Linken handele es sich um eine im wesentlichen antisemitische Partei.

    Also müsse im vom Bundestag zu beschließenden Text erstens auch auf die DDR-Vergangenheit hingewiesen werden, und zweitens müsse der „Antizionismus“ der Linken als Deckmäntelchen für deren Antisemitismus gekennzeichnet werden.

Über linken Antisemitismus

Tatsächlich hat die DDR die ganze Zeit ihrer Existenz den „Antizionismus“ hoch gehalten, und zwar in einer Art und Weise, die das der Blockkonfrontation geschuldete Ausmaß deutlich überschritten hatte. In der DDR lebende Juden wurden auch fortwährend kritisch beäugt, und zwar aufmerksamer, als dies bspw. bei engagierten Christen der Fall war. In den frühen 1950er Jahren, also zur Stalinzeit, kam es in der DDR – wie auch in den anderen sowjetsozialistischen Staaten – zu systematischen Judenverfolgungen – allerdings nicht zu Pogromen und Massenmorden. Es geht daher völlig an der Sache vorbei, den Antisemitismus der DDR mit Nazideutschland auch nur ansatzweise gleichzusetzen.
Außerdem versteht sich die Linkspartei keineswegs als Nachfolgerin der DDR-Staatspartei. Freilich gibt es nicht nur organisatorisch, sondern auch personell eine Kontinuität von der SED über die SED / PDS, die dann als PDS mit der (West-) WASG zur Partei „Die Linke“ fusionierte. Niemand verkörpert diese Kontinuität als Person prominenter als der jetzige Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Gregor Gysi, der übrigens der Sohn eines bekennenden Juden ist, der es in der DDR immerhin zum Minister für Kirchenfragen gebracht hat. Gysi hat im Frühjahr dieses Jahres einen klaren Kurswechsel der Linken hin zur Solidarität mit Israel eingeleitet.

Dass der „Antizionismus“ der deutschen Linken als Deckmäntelchen für deren Antisemitismus fungiert, wird in dem zur Debatte stehenden Text deutlich ausgesprochen. Dies findet sich auch in Texten der Linkspartei; dennoch ist es wahr, dass für viele Mitglieder der sog. „Antizionismus“ zum politischen Selbstverständnis gehört. Allerdings kann auch hier die Linkspartei kein Monopol für sich geltend machen. Diesen sich hinter „Antizionismus“ oder Kritik am Staat Israel versteckenden Antisemitismus findet man durchaus auch bei Linken in der SPD oder bei den Grünen, vor allem aber bei „heimatlosen“ Linken. Besonders ausgeprägt und wenig kaschiert findet sich linker Antisemitismus im linksradikalen, „autonomen“ Milieu.
Ja, unbestreitbar gibt es linken Antisemitismus. Da räume ich Nichts ein, da gebe ich Nichts zu; denn ich habe dies ja niemals geleugnet oder gar bestritten.
Nur: dadurch darf ja nicht der Eindruck entstehen, als sei der Antisemitismus mittlerweile schlechthin auf die politische linke Seite „übergesiedelt“. Er war und ist selbstverständlich auf der rechten politischen Seite angesiedelt. Womit ich hier die bürgerliche, die demokratische Rechte meine. Dass rechtsaußen der Judenhass den eigentlichen politischen Antrieb darstellt, ist ja weithin bekannt.

Antisemitismus ist rechts und links anzutreffen, auch in der Mitte des politischen Spektrums wie der Gesellschaft. Dies ist keine deutsche Besonderheit; dies ist vielmehr überall auf der Welt so. Außer in Israel. Die deutsche Besonderheit besteht darin, dass Deutsche in deutschem Namen die Juden „ausrotten“ wollten, und dass etwa sechs Millionen Menschen dieser „Endlösung“ zum Opfer gefallen sind. Die von den Nazis so genannte „Reichskristallnacht“ markiert den unübersehbaren Auftakt zu diesem Völkermord. Dem 70ten Jahrestag dieses Pogroms gemeinsam zu gedenken, stünde dem Deutschen Bundestag besser zu Gesicht, als ihn für den Parteienstreit zu instrumentalisieren. Parteienstreit ist in einer Demokratie unverzichtbar. Warum aber missbraucht Missfelder, der zweifellos ein Rechter und ebenso zweifellos kein Antisemit ist, ausgerechnet das Andenken an die ermordeten Juden dazu, die Linkspartei auszugrenzen? Er könnte jede Sitzungswoche des Bundestags für einen Feldzug gegen die Linken nutzen.

Warum also ausgerechnet jetzt und zu diesem Anlass? Ist ihm am Ende doch seine Gegnerschaft zu den Linken wichtiger als seine Freundschaft zu den Juden?

Werner Jurga, 02.11.2008

 

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