Kai Beller fordert in der Financial Times Deutschland (FTD) einen „Freispruch für Steinmeier“. Er findet, die Frage „Was wusste der frühere Außenminister über den Luftschlag in Afghanistan?“ lenkt von den Hauptverantwortlichen des Einsatzes ab: Verteidigungsministerium und Kanzleramt sind für die katastrophale Informationspolitik verantwortlich. Wer wollte das bestreiten?! Der damalige Verteidigungsminister ist bereits zurückgetreten, der jetzige steht immens unter Druck, und die Kanzlerin ist kurioserweise – jedenfalls bislang – außen vor. Immerhin hat sie strikt darauf geachtet, in der Öffentlichkeit diesbezüglich nicht die Unwahrheit zu sagen. Das ändert nichts daran, dass die Regierungschefin in jedem Fall – was immer sie gewusst oder schlimmer noch: nicht gewusst hat – politisch verantwortlich ist. Daraus einen „Freispruch für Steinmeier“ abzuleiten, wäre verwegen; FTD-Beller begründet seine Forderung auch anders, nämlich so: Zum Kartell der Vertuscher gehört der SPD-Mann sicherlich nicht.
Verwegen! Auffällig: das unauffällige Adverb „sicherlich“, das so viel heißen soll wie sein Gegenteil, nämlich: ich bin mir nicht ganz sicher, glaube aber irgendwie daran. Wer sich daran erinnern kann, wie gereizt Steinmeier beim (Wieder-) Aufflackern der „Affäre“ – angesprochen auf seine Verantwortung – in die Fernsehkameras sprach, er werde im Untersuchungsausschuss (!) „Alles“ auf den Tisch legen, und darunter sei „nichts Belastendes“, wird sich leicht denken können, dass der Oppositionsführer – belastet oder nicht – „zum Kartell der Vertuscher“ gehörte. Sicherlich. Das Massaker von Kunduz markiert einen Wendepunkt in der Geschichte der “Berliner Republikâ€. Dass sich die politische Diskussion auf die Frage konzentriert, wer wann was gewusst hat, wird weder der Dimension dieses Kriegsverbrechens noch dem historischen Stellenwert gerecht. Ich beabsichtige daher auch keineswegs, mich daran zu beteiligen. Mir geht es um die in Aussicht gestellte grundlegende Erneuerung der SPD.
Steinmeier ist wie kaum ein Anderer der Repräsentant jener elf Jahre, die den besagten Erneuerungsbedarf in der Partei haben entstehen lassen. Allenfalls Franz Müntefering ließe sich noch in einem Atemzug nennen. Der jedoch hat seine Konsequenz gezogen und nicht mehr als Parteivorsitzender kandidiert. Davor jedoch, nämlich noch am Abend nach der Bekanntgabe des katastrophalen Wahlergebnisses, hatten sich Steinmeier und Müntefering im Willy-Brandt-Haus bejubeln lassen. Eine absurde, absolut skurille Situation, die die beiden nutzten, alle wissen zu lassen, dass es unter Steinmeiers Führung weitergehen werde. „Abgesprochen“. Hätten die Anderen aus der SPD-Führung nicht in kürzester Zeit, also in einem demokratisch etwas zweifelhaften Verfahren, Sigmar Gabriel auf den Schild gehoben, hätte sich Steinmeier nach dem Fraktions- auch noch den Parteivorsitz gesichert. Ja, auch Gabriel war Minister in der Großen Koalition. Umweltminister. Er wird genauso wenig in die Details des Bombenangriffs eingeweiht gewesen sein wie der damalige Wirtschaftsminister. Der damalige Außenminister, dafür spricht nach den aktuellen Enthüllungen Alles, war informiert.
Mit ihm wird es keinen Neuanfang geben können. Auch nicht in der Fraktion. Steinmeier muss gehen!
Werner Jurga, 22.12.2009
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