Stefan schreibt Herrn Dierkes

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Ein Gespenst geht um in der Duisburger Linkspartei. Das Gespenst der Korrespondenz zwischen Stefan (wie man hört: einem Zugezogenen) und dem „lieben Hermann“ (dem OB-Kandidaten, wie man weiß). Man streitet über Israel, die Hamas und den Standpunkt der Partei. Der Briefwechsel ist lebhaft und ausführlich, offen und damit faktisch öffentlich. Hin und wieder findet auch Interessantes Erwähnungen, in diesem Falle: ich. Obgleich mir jedwede Eitelkeit fremd ist, habe ich mich doch gefreut, dass eine – vermeintlich recht junge Partei – sich mit niveauvollen Argumenten befasst.
Andererseits: was ziehen die mich da mit rein?! Unglaublich. Sehen Sie sich das an:
das schreibt der neue Stefan dem alten Hermann:

Du verwendest in deinem Schreiben vom 18.1. viel Raum für Dinge, die ich nicht benannt oder kritisiert habe und die nicht Thema unseres Konfliktes sind. Du führst Werner Jurga, den stellvertretenden Vorsitzenden der DIG, an, der dich als Antisemiten betitelt haben soll. Das ist aber nicht mein Thema. Du bist selbstverständlich kein Antisemit. Wer dies behauptet, ist böswillig, hat von deiner Position wenig Kenntnis oder beides. Du schreibst, dass Werner Jurga mich als Zeugen für seine Position angeführt hat und suggerierst damit recht vorsichtig, ich würde Werner Jurgas Auffassungen teilen ... Am Ende heißt es dann bei dir, ich würde mich zu diesen in Israel vertretenen Positionen nicht äußern und schlussfolgerst, ich würde vermutlich eine linkszionistische und damit kriegsbefürwortende Haltung einnehmen.
Dies ist eine ziemliche Frechheit!

Eine Frechheit ist allerdings auch, dass der Stefan, von dem wir annehmen dürfen, dass er Indikativ und Konjunktiv auseinanderhalten kann, dem lieben Hermann schreibt, dass Werner Jurga mich als Zeugen für seine Position angeführt hat.
Das wollte ich ihm jetzt aber mal sagen. Also schrieb ich ihm:

 

Hi Stefan,

Ihr könnt  Euch bei den Linken das Maul zerreißen, wie Ihr wollt ...
über den bösen Jurga, der tatsächlich, wie Du wohl weißt, eine linkszionistische und damit kriegsbefürwortende Haltung eingenommen hat. Dass ich mich schon vor Beginn der Bodenoffensive gegen sie ausgesprochen habe, kann Euch tatsächlich so wenig interessieren, wie es die Olmert-Regierung interessiert hat.

Mir liegt auch nichts daran, mich an einer Debatte innerhalb Eurer Partei zu beteiligen. Nicht etwa, weil ich als Mitglied einer Konkurrenzpartei mich stilvoll zu einer gewissen Rücksichtnahme veranlasst sähe. Ein solches Denken wäre mir fremd. Es ist der inhaltliche Standort der vertretenen Standpunkte, der mich Euren Streit zwar mit einer Mischung aus Amüsement und Langeweile betrachten lässt. Aber ich kann nicht sagen, dass mich all diese Darlegungen, die mitunter schon während der 1970er nicht mehr so ganz zeitgemäß waren, wirklich interessierten.
Mir geht es nur darum, dass Du nicht auch noch, genau wie Hermann Dierkes, mir Unfairness unterstellst. Es ist eben bestenfalls eine Halbwahrheit zu behaupten, ich hätte Dich als Zeugen für meine Position angeführt. Geschrieben hatte ich:

zu einem Thema, in dem Ihre Partei gespalten ist wie in keinem anderen, eine abgründige Stellungnahme abgeben, wie einer Ihrer Genossen treffend bemerkt



Damit führe ich Dich schon irgendwie als Zeugen an, aber doch nicht für meine politische Meinung zu Gaza konkret oder zum Nahostkonflikt schlechthin, sondern als Beleg für eine entschiedene Ablehnung Dierkes´ Stellungnahme in der Partei selbst. Dass "abgründig" nicht "antisemitisch" bedeuten muss, ist einerseits eine Selbstverständlichkeit. Andererseits, wenn wir nur mal so unterstellen, in der Linkspartei könnte es Genossen geben, die fast ähnlich kenntnisarm sind wie ich: die hätten einen unterschwelligen Antisemitismus-Vorwurf herauslesen können. Wie dem auch sei: abgründig ist auf jeden Fall heftig ausgeteilt.
Dierkes´ Position habe ich nun für meinen Geschmack hinreichend kennen gelernt. Was meine Böswilligkeit betrifft, keine Frage: ich habe meine beiden Texte keineswegs guten Willens geschrieben. Und ich habe auch hier und da ein bisschen geschummelt. Ich sehe mir das nach; denn er kann doch nicht der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) diese abgründige Stellungnahme zusenden, und in der Antwort auf Wattebäuschchen hoffen. Es ist ja nicht nur so, dass er nicht Mitglied werden möchte (das möchtest Du ja auch nicht). Er schließt auch eine Kooperation in Einzelfragen aus. Oder, um es ganz deutlich zu sagen: sein Schreiben an die DIG ist im Kern eine Kampfansage.
Und wenn ich dann zurückgifte, kommt ein jammerndes "unfair!" Linkssektiererische Jämmerlichkeit.

Ich gestehe: ich habe wider besseres Wissen den Eindruck erweckt, der jüdische Antizionismus sei nur bei den Ultra-Orthodoxen anzutreffen.
Auf die israelische Gesamtgesellschaft bezogen ist dies keine grobe Irreführung; denn hier liegt des Pudels Kern. Aber mir ist bspw. bei meinem Israelaufenthalt vor knapp einem Jahr nicht entgangen, dass an den (sozial- und geisteswissenschaftlichen Fachbereichen der ) Universitäten in erwähnenswertem Ausmaß antizionistische Positionen auch von Links vertreten werden, die Israel als jüdischen Staat ablehnen und die auf ein multiethnisches, säkulares Palästina hoffen. Dass ich in bester sozialdemokratischer "Basta"-Manier mit der dortigen radikalen Linken diskutiert habe, sei hier nur am Rande erwähnt. Für die hiesige Debatte poche ich darauf, dass es etwas Anderes ist, ob - i.d.R. junge - gebürtige Israelis in gemeinsamen Seminaren mit arabischen Israelis eine solche Position entwickeln, die sich erfahrungsgemäß im Erwerbsleben wieder legt, als wenn ein erfahrener deutscher Sozialist / Kommunist angesichts und unter Bezug auf die Geschichte der politischen Arbeiterbewegung die besagten Zeilen zu Papier bringt.

Böswillig oder nicht: wer etwas vom Hintergrund der deutschen Geschichte faselt, seine Position (Dir gegenüber) meint, mit einer Lenin-Interpretation legitimieren zu können, ohne dabei auch mit nur einer Silbe die antisemitischen Entgleisungen der KPD zur Weimarer Zeit zu erwähnen*, setzt sich dem Verdacht aus, den Antizionismus nur als Mäntelchen für seinen Antisemitismus zu verwenden.
In seinen beiden längeren Schreiben an Dich ist es Dierkes nicht gelungen, bei mir diesen Verdacht auszuräumen. Das dürfte er sich gedacht haben; denn mich ließ er nur wissen, dass ich weder fair noch intelligent sei. Dass Du Eurem OB-Kandidaten schreibst, mindestens eine der beiden Eigenschaften, aber wohl eher beide, bei mir verorten zu können, scheint mir wohl unverzichtbar zu sein, wenn man noch hofft, bei den Duisburger Linken gegrüßt zu werden.

Damit muss ich leben. Das ist schwer; aber es geht irgendwie.
Damit musst auch Du leben. Das stelle ich mir noch schwerer vor. Wer kämmt Dich, wenn Du nicht mehr in den Spiegel gucken magst?
Und Hermann Dierkes wird damit leben müssen, dass ich ihn auf der ein oder anderen Podiumsdiskussion im Wahlkampf fragen werde, ob er das Existenzrecht Israels anerkennt.
Die Antwort wird ihm nicht schwer fallen. Ein achtbares Wahlergebnis wird damit jedoch unmöglich.

Was meinst Du, Stefan? Macht er das aus "Prinzipientreue" oder glaubt er wirklich, dass diese islamischen Fundamentalisten, die Euch alle am liebsten um einen Kopf kürzer machen würden, ihn wählen würden?


Mit sozialistischen Grüßen
Werner

 

* Das Verhalten des SPD-Parteivorstandes am Ende der ersten deutschen Demokratie ist mir in etwa bekannt, hier jedoch nicht das Thema.

 

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