Schweinepanik im Anrollen

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Schon vor gut einem halben Jahr war nichts mehr dran zu ändern. Die durch das H1N1-Virus verursachte, vielleicht nicht einmal so ganz neue Grippe heißt Schweinegrippe, ob einem nun diese Bezeichnung gefällt oder nicht. Und auch daran ist nichts zu ändern: das Virus breitet sich mit zunehmender Geschwindigkeit aus. Im Laufe der letzten Woche stieg die Zahl der an Schweinegrippe Erkrankten von Tag zu Tag exponentiell an - in Duisburg, in Mülheim und überall. Die Schweinegrippe ist angekommen. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass in den nächsten Tagen weit mehr als nur eine Handvoll Schulen in Duisburg schließen werden. Und so wird sich vermutlich noch eine Krankheit epidemisch ausbreiten: die German Angst.

Dabei verläuft die Schweinegrippe in Deutschland, betrachtet man die Sache quantitativ im weltweiten Vergleich, bisher völlig harmlos. Auch die H1N1-Infektion selbst verläuft ziemlich mild, kaum schlimmer als ein grippaler Infekt. Bei ganz wenigen Erkrankten greift das H1N1-Virus allerdings die Lunge direkt an. Menschen, die unter chronischer Bronchitis oder gar Asthma leiden, sollten daher eine Impfung in Erwägung ziehen.
„Impfen oder nicht Impfen?“ Das ist hier die Frage. Mit dieser Schicksalsfrage konfrontiert konnte ich in der letzten Woche selbst häufig die nicht minder schicksalsergebene Antwort hören: „Wie man es macht, macht man es verkehrt.“
Ich ließ es mir nicht nehmen, dieser (regionalen?) Weisheit mit der Antithese zu begegnen:
 

Wie Sie es machen, machen Sie es richtig

Ja, es stimmt. Das H1N1-Virus hat nach dem Ersten Weltkrieg die Spanische Grippe ausgelöst, der zwischen 25 und 50 Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. Diese Pandemie wird auch unter dem Namen „Lungenpest“ überliefert. Ganz abgesehen davon, dass etliche Bedingungen, insbesondere die hygienischen, vor neunzig Jahren die katastrophale Ausbreitung der todbringenden Seuche begünstigt hatten – das Virus selbst mutierte ständig. In diesem Fall zweifelsohne zugunsten der Menschen.
Sie wissen, dass jedes Jahr – mit Beginn der kalten Jahreszeit – eine Grippewelle übers Land rollt. Jährlich werden nach Schätzungen der WHO zehn bis zwanzig Prozent der Weltbevölkerung mit Influenzaviren infiziert. In Deutschland gab es nach Angaben des Robert-Koch-Instituts im Winter 2002 / 2003 fünf Millionen Infizierte und 16.000 bis 20.000 Todesfälle, die auf eine Influenza zurückzuführen sind.
Diese Zahl habe ich von Wikipedia übernommen; sie mag in anderen Wintern etwas niedriger gewesen sein. Doch mit weniger als 5.000 Toten geht Deutschland nie durch eine Grippesaison. Man muss sich diese Tatsache vor Augen halten, um das gegenwärtige Medienspektakel namens Schweinegrippe als das erkennen zu können, was es ist: Panikmache.

Ja, es stimmt. Es hat in Deutschland bislang zwei oder drei Handvoll Toter gegeben, die dem H1N1-Virus zum Opfer gefallen sind. Und es stimmt vielleicht auch, dass kein einziger Toter infolge der Pandemrix-Impfung zu beklagen ist. Die Impfgegner verweisen auf die Gefahr eines anaphylaktischen Schocks und darauf, dass in der Kürze der Zeit nicht hinreichend Erfahrungen mit dem Impfstoff hätten gesammelt werden können. Die andere Seite ist ganz aufgeregt, weil die Organisation der Massenimpfung offensichtlich nicht optimal verläuft und der Hersteller mit der Produktion nicht nachkommt. „Millionen Deutsche müssen länger auf Impfung warten“, alarmiert Spiegel Online und präsentiert den neuen Gesundheitsminister recht hilflos.
Unverkennbar und wenig überraschend ist, dass mit der Beschleunigung der H1N1-Infektionsrate die Impfgegner gegenüber den Befürwortern ins Hintertreffen geraten sind. Und weil, wenn Böses auftaucht, unbedingt irgendjemand schuld sein muss, hat sich mit dem Pendelschlag in der öffentlichen Stimmungslage auch die Stoßrichtung gegen die vermeintlich Schuldigen geändert.

An den Schuldigen selbst hat sich freilich nicht viel geändert. Der Kapitalismus im allgemeinen, die Pharmaindustrie im besonderen und ganz besonders GlaxoSmithKline (GSK), die Pandemrix-Herstellerfirma, werden schon irgendwie schuld sein. Ursprünglich wegen des verdammenswerten Versuchs, eine Pandemie gleichsam zu erfinden und propagandistisch Panik zu verbreiten, um Riesenprofite beim größten Menschenversuch aller Zeiten einzustreichen. Und nach dem Stimmungswandel: GSK produziere zu wenig Impfstoff, erzeuge also künstlich diesen Mangel ohne Rücksicht auf die Gesundheit der Völker, um – ja warum wohl? – Riesenprofite einzustreichen.
Trotz der genannten Richtungsänderung: die Panikmache bleibt erhalten, der Kapitalismus böse und deshalb in jedem Fall gesundheitsschädlich. Und in der Tat: man kann die Pharmakonzerne wegen ihrer monopolistischen Preissetzungspraktiken kritisieren oder darauf hinweisen, dass der Kapitalismus auch Schattenseiten (Friedrich Engels) hat. Allerdings ist den Kapitalisten insgesamt doch wohl eher an gesunden Arbeitern gelegen. Deshalb kann Spiegel Online auch melden: Impf-Offensive. Großkonzerne spritzen gegen die Schweinegrippe.
Focus Online hat einen Blick auf die Südhalbkugel, wo die Grippesaison ja gerade zu Ende geht, geworfen und dabei festgestellt, die Schweinegrippe sei „genauso tödlich wie die saisonale Grippe“. Allerdings auch nicht mehr. Quantitativ, versteht sich; tödlicher als tot geht ja nicht.

Die Schweinegrippe wird in den nächsten Tagen die Gegend hier überrollen. Passen Sie ein bisschen auf sich auf! Am besten ist es, Sie beachten die folgenden Ratschläge:
Vermeiden Sie es, Mund und Nase zu berühren!
Waschen Sie sich die Hände regelmäßig und gründlich mit Seife und Wasser oder reiben Sie sie regelmäßig mit einem Handdesinfektionsmittel auf Alkoholbasis ein (vor allem, wenn Sie Mund und Nase oder möglicherweise verseuchte Oberflächen berühren)! Vermeiden Sie engen Kontakt mit möglicherweise Erkrankten! Verbringen Sie so wenig Zeit wie möglich an Orten, an denen sich viele Menschen aufhalten! Verbessern Sie in Ihrer Wohnung die Belüftung, indem Sie die Fenster öffnen! Leben Sie gesund! Dazu gehören ausreichend Schlaf, gesunde Ernährung und körperliche Bewegung!

Diese Tipps habe ich übrigens auf der GSK-Homepage gefunden, also der Webseite von GlaxoSmithKline.
Das kann also nicht verkehrt sein. Sollte Sie das Virus dennoch erwischen, gehen Sie einfach zum Arzt. Der wird Ihnen dann Tamiflu verschreiben und Bettruhe verordnen. Ein paar Tage später ist dann der Fall erledigt.

Werner Jurga, 15.11.2009

 

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