Prognosen 2008

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

„Prognosen sind unsicher – insbesondere, wenn sie die Zukunft betreffen“, sagte Mark Twain. „Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt“, spricht der Volksmund.

„Ganz genau weiß man es sowieso erst hinterher“,

hatte ich schon vor einigen Jahren die Öffentlichkeit wissen lassen.
Heute ist die Tagespresse voll von Konjunkturprognosen für das kommende Jahr. Man sehe die diversen Risiken, deshalb sei man auch nur verhalten optimistisch, so die Institute und die Bundesregierung. Deshalb (!) prognostiziere man auch nur ganz bescheiden ein Wachstum von rund zwei Prozent. Glückauf!

Dies reiche aus – wieder allgemeine Übereinstimmung – für einen Anstieg der Beschäftigung, für einen Rückgang der Arbeitslosigkeit. Trotz, wie es in der offiziellen Sprachregelung heißt: „Wachstumsdelle“. Wohlbemerkt: die Regierung, die Institute, die „Fünf Weisen“ mit ihrem Papst Rürup zählen die Risikofaktoren nicht nur auf, sondern erläutern sie auch ausführlich und zutreffend. Dennoch lautet das Resultat: es geht weiter aufwärts, wenn auch etwas langsamer.
Das „bescheidene“ Wachstum von zwei Prozent verdanke sich der ansteigenden Binnennachfrage. Okay, selbst wenn die Menschen in der Fußgängerzone unisono klagen, der Aufschwung käme bei ihnen nicht an: die etwa eine Million Leute, die 2007 einen Arbeitsplatz gefunden haben, dürften jetzt mehr Geld in der Tasche haben als vorher. Und trotz für deutsche Verhältnisse relativ hoher Preissteigerung (gern auch „Inflation“ genannt) ist 2008 ein Reallohnzuwachs wahrscheinlich. Trotzdem bleibt es für mich wundersam, dass ein zweiprozentiger Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für einen weiteren Abbau der Arbeitslosigkeit ausreichen soll.
Zudem halte ich diese zwei Prozent keineswegs für „bescheiden“, sondern für

recht mutig

Selbst wenn wir unterstellen, dass die sog. „US-Immobilienkrise“ sich nicht zu einer Weltwirtschaftkrise auswächst, sondern ein einigermaßen gütliches Ende nehmen wird. Selbst dann

  • wird der US-Dollar nicht wieder erstarken und der Euro chronisch überbewertet bleiben. Der Einwand, dass die meisten deutschen Exporte ja in den Euro-Raum gingen, dass also der Euro-Kurs nicht so wichtig sei, sticht nicht: irgendwomit müssen ja auch die Euro-Länder das Geld verdienen, das sie den Deutschen für die schönen Maschinen, Autos etc. abdrücken sollen.
  • wird der Euro nicht so stark, dass er den Anstieg des Ölpreises auch nur halbwegs kompensieren könnte. Gestern hat ein Barrel Rohöl erstmalig die 100-Dollar-Marke geknackt. Auch wenn der Ölpreis jetzt wieder unter 100 Dollar liegen sollte, und wenn wir davon ausgehen, dass bei dieser Preisexplosion viel Spekulation im Spiel ist: der Durst der Chinesen nach Öl ist so schnell nicht zu löschen. Unter 90 Dollar wird ein Barrel Öl nie wieder zu haben sein.
  • sehe ich für 2008, erst recht aber mittelfristig, nicht, wer eigentlich deutsche Autos kaufen soll, kann oder will. Die Vorreiter in Sachen Umweltschutz bauen „leistungsfähige Spritsäufer“ und sind beleidigt über die “Ungerechtigkeit“ der EU. Oder nehmen wir den Einzelhandel. Oder die Chemieindustrie. Einziger Lichtblick: der Maschinenbau. Nur: wer kauft am Ende eines Konjunkturzyklus schon Maschinen?
  • bewegt sich der Aufschwung seinem Ende entgegen. Einen Aufschwung gibt es ja nur deshalb, weil es auch einen Abschwung gibt. Dass erst 2007 der Aufschwung begonnen habe, gehört eindeutig ins Reich der Legenden. Neu ist, dass – erstmals seit Jahrzehnten – überhaupt von Aufschwung gesprochen werden darf; freilich immer mit dem Zusatz: „kommt bei den Menschen nicht an.“ Immerhin: bislang galt es als ausgemachte Sache, dass es, solange Massenarbeitslosigkeit existiert, einen Aufschwung gar nicht geben kann, gleichsam qua definitione.

Eigentlich haben wir nämlich die Soziale Marktwirtschaft, was soviel bedeutet wie Wohlstand für alle, also auch keine Arbeitslosigkeit. Haben zufälligerweise einmal nicht alle genug Wohlstand, und sind sogar Leute arbeitslos, die über längere Zeiträume nicht durch chronische Faulheit unangenehm aufgefallen sind, dann ist das nicht normal. Da stecken dann böse Manager mit ihren Top-Gehältern dahinter, vor allem aber die Politiker. Nicht normal: „Kapitalismus pur“. Normal: „Soziale Marktwirtschaft“. Also: Aufschwung immer, Abschwung nimmer! Und wenn dann doch mal die Politiker das wieder vermurksen, dann wählen wir eben die anderen: damit die da oben mal wieder wach werden. Blöd nur: auf die Dauer weiß man gar nicht mehr, wen man eigentlich wählen soll. Man steht in der Fußgängerzone hilflos vor einer Fernsehkamera und muss zugeben, dass man dieses Jahr noch genauer auf´s Geld gucken muss. Ausgerechnet vor Weihnachten! 

Zurück zu den Wirtschaftsprognosen: es gibt also so etwas wie Konjunktur. Deshalb hat das Ifo-Institut auch einen Konjunkturchef. Der heißt Kai Carstensen; der macht übrigens nicht die Konjunktur, der untersucht sie nur. Oder er macht Prophezeiungen. Das Wort „Konjunktur“ bedeutet übrigens nicht „Aufschwung“, wie vielfach irrtümlich angenommen; Beispiel: „wir haben ja wieder Konjunktur“ oder: „klasse: die Konjunktur läuft!“ – Falsch! Nein. Konjunktur bedeutet vielmehr Auf- und Abschwung, also: die Welle. Grönemeyer: „sie kommen über Dich wie eine Welle!“
Und Kai Carstensen hat Recht, wenn er sagt: „In der Regel folgt die Arbeitsmarktentwicklung mit Verzögerung auf den Konjunkturverlauf.“ Und dann erklärt er, warum er meint, dass es 2008 mit der Beschäftigung weiter aufwärts geht: „"Wir sehen hier den üblichen Nachlauf des Arbeitsmarktes zur konjunkturellen Entwicklung."

Tja, kann sein, kann nicht sein. „Prognosen sind unsicher – insbesondere, wenn Sie die Zukunft betreffen“, sagte Mark Twain. Kai Carstensen sagt: „Sollte es doch zu einer Rezession in den USA kommen, hätte das aber auch Effekte auf die Beschäftigung hierzulande."

Werner Jurga, 03.01.2008 

 

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