Lippe, Kunduz und zurück

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Stadt, Land, Fluss für Fortgeschrittene - das Finale

 

Eigentlich sollte Ich ihnen zunächst einmal erzählen, wie dieses Land im schwierigen Gelände mit den entsprechenden Menschen eigentlich heißt.

Das hier in Rede stehende Territorium - also diesseits der Grenze; das, was „unsere“ imaginäre Route durchquert - heißt übrigens nicht Ostwestfalen, wie Sie möglicherweise annehmen. Macht nichts, kann passieren; ich wollte ja Vlotho schon nach Afghanistan verlegen. Nein, es heißt, wenn Sie ein L sowohl für Fluss als auch für Provinz brauchen, Lippe.
Die Region Lippe gehört eben nicht zu Ostwestfalen. Ältere Sozialdemokraten erinnern sich, dass der ehemalige SPD Ostwestfalen-Lippe hieß. Alle anderen mögen an das Wappen von NRW denken. Links groß der Rhein für Nordrhein, rechts groß der Gaul für Westfalen, und unten in der Mitte, ziemlich klein, die Lippische Rose. Doch, dieses Gelände liegt tatsächlich in NRW!
Denn ähnlich wie Afghanistan hatte sich auch Deutschland erst mit den Franzosen, dann mit den Russen und allen Möglichen angelegt, und als dann die Amerikaner (und Briten, natürlich) auch noch gegen einen waren, man kennt das ja: zack, Regierung gestürzt, besetzt.

Und dann fangen so Besatzer an, alles umzukrempeln. So entstand das Bindestrichland Nordrhein-Westfalen (NRW). Am 23. August 1946. Der seit 1918, also während der Weimarer Republik und dem Dritten Reich existierende Freistaat Lippe gehörte jedoch noch nicht dazu. Im Zuge der Neugliederungen nach dem 2. Weltkrieg musste der Freistaat Lippe seine Selbständigkeit aufgeben und schloss sich dem Land Nordrhein-Westfalen an.
Ja, er musste, der Freistaat. Klar: die Besatzer. Vor der Selbstständigkeit dieser tapferen Teutonen hatten sie sich gefürchtet, die Briten; immerhin ließen sie – ganz schön clever - den Lippern die Wahl, sich entweder den Niedersachsen oder diesem Kunstgebilde mit N am Anfang anzuschließen. Dass das Land des Hermann am Teutoburger Wald sich unter diesen Umständen lieber für so einen zwanglosen Zusammenschluss entschieden hatte, vermag nicht zu verwundern. Dass sich NRW drum gerissen hatte, allerdings schon.
Nun ja, man war jung und unerfahren. Wenn man gerade einmal zwei Jahre alt ist, will man unbedingt wachsen. Am 5. November 1948 bekamen die Briten ihren Willen und die Nordrhein-Westfalen die Teutonen von der Lippe.

Kreis_Lippe

Sieben Jahre und zwei Monate später wurde die Fabrikarbeiterin Ursula Steinmeier in der Hauptstadt Detmold von einem Jungen entbunden, den sie liebevoll auf den Namen Frank taufen ließ. Die aus der oberschlesischen Heimat Vertriebene hatte dem alteingesessenen Tischler Walter Steinmeier – auch als Dank für die herzliche Aufnahme im Lippischen – einen Sohn geschenkt, woraus sich erklären mag, dass der kleine Frank den Walter an seinen Vornamen dranhängen durfte.
Und so wurde er dann groß, der Frank-Walter - in Brakelsiek. Und weil er schlau war, durfte er sogar aufs Gymnasium – in Blomberg. Und dann von der Schule der Nation auf in die große weite Welt: Studieren. Mehr als zweihundert Kilometer von der lippischen Heimat entfernt, lernt Frank-Walter an der Universität Gießen (eine ganz große Stadt im Hessischen), was man darf und was man nicht darf. Damit war sein Weg für eine erstaunliche berufliche Karriere als „“Mach-mal-Frank geebnet.
Aber, wie das so ist – seien wir ehrlich: nicht nur im Lippischen. Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Ulrich Roski wusste davon zu erzählen, und ein gewisser Arsch auch.
Wenn zum Beispiel so ein Junge aus Brakelsiek ganz groß rauskommt, was glauben Sie wohl, was zum Beispiel die Leute aus Vlotho sich dann so erzählen?! Vlotho, müssen Sie nämlich wissen, gehört zum Kreis Herford.

Vlotho_in_HF_svg

Sehen Sie?! Ganz im Osten des Kreises, eigentlich gehören sie auch schon nicht so richtig zu den Westfalen, nicht einmal den Ostwestfalen, die Vlothoer. Aber, da können die sich drehen und wenden, wie sie wollen: sie sind halt keine Lipper.
Sie müssen sich das so ähnlich vorstellen wie in Afghanistan. Im Westen haben die so ein Völkergemisch wie in NRW, Tadschiken, Hazara und Usbeken. Im Osten so einen Einheitsbrei wie die Paschtunen. So stellt sich Niedersachsen vor Ort dar; Ostfriesland ist weit weg. Mitten drin so ein usbeken-ähnliches Mini-Völkchen wie die Lipper; und Sie hängen mit Ihrer Sippe – sagen wir mal: so etwas wie die Aimaken – an diesem West-Mischmasch ganz im Osten dran.
Da wären Sie natürlich am liebsten Usbeke, äh: Lipper. Dürfen Sie aber nicht. Aber einer von denen kommt in der Loja Dschirga ganz groß raus. Ja, was würden Sie denn über so einen wohl denken, wenn Sie so ein Vlothoer Aimake wären?! Sehen Sie sich das doch nur einmal an!

Lippe_1923-1946

Wenn also einer von denen, also der Steinmeier, ganz zufälligerweise einmal in der Patsche sitzt oder in einer Sandbank fest hängt, dann kennt – verständlicherweise – der Vlothoer an sich kein Erbarmen mehr. Dann haut er mit drauf, wie zum Beispiel der Vlothoer Anzeiger. Er bläst mit der Überschrift „ein neuer Verdächtiger“ Attacke und schreibt:
„Es war auffällig, wie zurückhaltend Frank-Walter Steinmeier als neuer Oppositionsführer agierte, als die Kundus-Affäre und die Informationspannen im Verteidigungsministerium bekannt wurden. Erst als nach dem Rücktritt von Ex-Verteidigungsminister Jung auch dessen Nachfolger zu Guttenberg ins Kreuzfeuer der Kritik geriet, schoss sich der SPD-Fraktionschef auf den forschen Inhaber der Kommandogewalt ein.
Nach jüngsten Berichten hatte das Zögern auch einen triftigen Grund. Als die Bomben am Kundus-Fluss fielen, stand Steinmeier als Außenminister einem maßgeblichen Ressort vor, das ebenfalls mit dem Fall befasst war. Offenbar hatte das Amt am Tag der Attacke konkrete Informationen über zivile Opfer.“
Offenbar, offenbar, offenbar … Ganz schön mies, nicht wahr. Aber wie gesagt: wenn man die historischen und geographischen Hintergründe kennt, wird einem so einiges klar. Trotzdem mies!

Konkrete Informationen über zivile Opfer, na klar hat der Frank-Walter die gehabt. Schließlich war er doch Außenminister, hat er doch auch nie bestritten. Bereits am 8. September, erinnerte Steinmeier, habe er im Bundestag darauf hingewiesen, dass die Ereignisse ein "neues Schlaglicht auf den Einsatz werfen. Das war eine Zäsur." Darum habe er "nicht beschönigt und zu keinem Zeitpunkt geleugnet, dass es zivile Opfer gab".
Er hat nicht beschönigt, er hat nicht geleugnet, weil das nämlich eine Zäsur war. Darum! Ja, darum! Sonst hätte er vielleicht beschönigt, möglicherweise sogar geleugnet. So aber hat er einfach nichts gesagt. Der Frank-Walter aus dem Lippischen.

Werner Jurga, 26.12.2009

 

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