Getötete Kinder

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

In diesen Tagen häufen sie sich – die Meldungen über

 GETÖTETE KINDER

Tatsächlich haben wir es in diesen Tagen mit einer ungewöhnlichen Dichte an Kindermorden zu tun: erst drei tote Kinder im sächsischen Plauen, dann fünf Kinder im holsteinischen Darry, und gestern Abend wurde in Berlin eine Mutter mit Drogenproblemen neben ihrem sechs Wochen alten Baby gefunden: beide tot.

Ich wiederhole: hier handelt es sich um eine ungewöhnliche Dichte, gleichsam um einen statistischen Ausreißer nach oben. Insgesamt betrachtet „läuft hier nichts aus dem Ruder“: tendenziell nimmt die Anzahl der in Deutschland getöteten Kinder nicht zu, was den zu Tode Gekommenen tendenziell nichts mehr nützt. Vielleicht aber noch einigen lebenden Kindern. Denn immerhin hat diese statistische Spitze die öffentliche Aufmerksamkeit auf dieses unselige Thema gelenkt.
Bislang schafften es ermordete Kinder kaum über die lokalen Medien hinaus; der überregionalen Berichterstattung waren sie allenfalls eine Kurznotiz wert. Es sei denn, sie ereilte das entsetzliche Schicksal, einem Sexualmörder zum Opfer gefallen zu sein. So etwas sorgte und sorgt immer für bundesweite Schlagzeilen. Hier war das Jahr 2003 solch eine statistische Spitze: fünf Kinder waren zu beklagen. Wohlgemerkt: im ganzen Kalenderjahr. Im Zeitraum von 1997 bis 2004 waren es zehn Fälle, die fünf toten Kinder aus 2003 mitberücksichtigt. Quelle. Hamburger Abendblatt vom 25.07.2005.
Jeder einzelne dieser Morde ist grauenhaft. Allein sich die Qualen für das Kind, das Leiden für die Eltern vorzustellen, ist schwer erträglich. Da gibt es nichts zu relativieren. Es geht mir auch nicht um Relativierung; es geht mir um die Relationen.

jede Woche drei

Wir haben also erfahren, dass in Deutschland jedes Jahr im Durchschnitt zwei Kinder einem Sexualtäter zum Opfer fallen – maximal.
 Heute lesen wir, dass "jede Woche in Deutschland mindestens zwei Kinder getötet werden." Schon 2006 konnten wir in der „Zeit“ lesen, dass es mehr als drei sind, bei gleichbleibender Tendenz: „Jedes Jahr sterben in etwa drei Kinder in der Woche in Deutschland an Misshandlungen... Die Zahl der Kriminalstatistik 2005 liegt bei 179. Die Zahlen für 2006 liegen noch nicht vor.“
Sie dürften inzwischen vorliegen; ich mag nicht weiter recherchieren. Ich wollte nur zeigen, dass es nichts Neues ist, dass hierzulande etwa drei Kinder wöchentlich die elterliche Gewalt nicht überleben. Das jetzt aufgeflammte große öffentliche Interesse an diesem Thema dürfte nach den Regeln der Mediengesellschaft in Kürze wieder verebben. Dieses kleine Zeitfenster sollte also dazu genutzt werden, etwas zu tun.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verlangte "eine Kultur des Hinsehens" in der Gesellschaft. Alle müssten gemeinsam dafür sorgen, "dass Kinder eine gesicherte Zukunft haben", sagte Merkel, Quelle: Tagesschau.
Damit hat sie selbstverständlich Recht. Allerdings: hinsehen allein genügt nicht, manchmal muss man auch eingreifen. Das gilt nicht nur für die Behörden. Das gilt auch für uns. Aus diversen Erfahrungen darf ich Ihnen sagen: solcherlei Intervention wird niemals ein Zuckerschlecken. Und es will gut überlegt sein, wann man wie eingreift - damit man nicht noch zusätzlichen Schaden anrichtet. Aber prinzipiell gilt die Überschrift des heutigen WAZ-Leitartikels: „Jede Aktion, die hilft, ist eine gute Aktion.“
Deutschland ist wahrlich kein kinderfreundliches Land. Kinder würden zu oft "als Störenfriede wahrgenommen". Es herrsche ein Klima, "in dem keiner hinschaut und Kinder nicht als positiv wahrgenommen werden." Die jüngsten Vorfälle seien deshalb Zeichen für eine "Strukturkrise", sagt Georg Ehrmann, Vorsitzender der Deutschen Kinderhilfe, laut Tageschau.
Deshalb müssen alle etwas tun. Wenn jedoch ich oder ein anderer Nobody dies einfordert, ist dies die eine Sache. Fordert jedoch die Regierungschefin „alle“ auf, bleibt der fade Beigeschmack, dass hier eigentlich weniger die Politik gefordert sei. Deshalb muss noch hinzugefügt werden, dass Ehrmann ebenfalls kritisierte, dass die Kinder- und Jugendhilfe finanziell im Schnitt um 15 Prozent heruntergefahren worden sei.

Weder die Morde in Plauen noch die in Darry hätten durch mehr öffentliche Gelder verhindert werden können. Wahrscheinlich nicht. Die psychisch schwer kranke Mutter aus Darry, die ihre fünf Söhne umgebracht hat, ist vor kurzem noch von einer Mitarbeiterin des Jugendamts aufgesucht worden. Heute schreibt die WAZ: „Kurz vor der Tat soll sich die Mutter in einer psychiatrischen Klinik vorgestellt haben und vom Personal abgewiesen worden sein. Drei Stunden später erstickte sie ihre Kinder.“ 

Werner Jurga, 07.12.2007

 

P.S.: erst ein paar Stunden nach Fertigstellung des obigen Textes habe ich die WAZ gründlich gelesen. Auf der zweiten Seite steht, dass im vergangenen Jahr 202  Kinder Opfer von Tötungsdelikten wurden. Das ist ja dann doch ein sehr kräftiger Anstieg. Ich hoffe und bete, dass ich mit meiner Bemerkung “hier läuft nichts aus dem Ruder“ nicht total daneben gelegen habe.

Dass zwei Seiten weiter über die Urteilsverkündung im Fall Hannah berichtet wurde, ändert nichts an meiner obigen Bewertung der Quantitäten. Ich gebe zu: qualitativ sind die Kindstötungen nicht mit einem Sexualmord vergleichbar. Trotz der zurückhaltenden Berichterstattung der WAZ macht ein einziger Satz aus der Urteilsbegründung Hannahs Martyrium deutlich. - Nein, der homosexuelle LKW-Reiniger aus Tschechien hatte ihr keine Schlaftabletten gegeben ...

 

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