Ermächtigungsgesetz

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

"Nicht nur die Ehre der Sozialdemokratie, sondern der deutschen Demokratie überhaupt" habe der SPD-Vorsitzende Otto Wels vor 75 Jahren mit seiner Rede gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz gerettet. Das hat am Donnerstag der frühere SPD-Vorsitzende und Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel als Festredner auf einer Gedenkveranstaltung im Deutschen Bundestag festgestellt.

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Hans-Jochen Vogel am 10.04.2008 vor dem Deutschen Bundestag

"Wer wegsieht, schwächt die Demokratie"

Vogel begann am 10.04.2008 mit diesen Worten:
“Wir sind zusammen gekommen, um an die Anfänge der NS-Gewaltherrschaft zu erinnern. Zu erinnern an das, was in der ersten Hälfte des Jahres 1933 - also vor einem Dreiviertel Jahrhundert - geschah. Auch, um uns zu fragen, wie das geschehen konnte. Und welche Folgerungen wir daraus auch heute noch für uns und unser Gemeinwesen ziehen müssen. Das nämlich ist der Sinn des Erinnerns. Erinnern, so hat Gotthold Ephraim Lessing einmal geschrieben, heißt nicht, das Gedächtnis zu belasten, sondern den Verstand zu erleuchten.
Denn wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.”

Er schloss mit:
“Was vor 75 Jahren versäumt wurde, darf sich nicht wiederholen. "Nie wieder! Nicht
noch einmal!" Das sollte die entscheidende Losung des heutigen Tages sein. Ich sage das als einer, der selbst noch als Kind und dann als Jugendlicher erlebt hat, was es heißt, unter einem Regime aufzuwachsen, das alles und alle seinem Befehl unterwarf und keine Verantwortung vor Gott und den Menschen kannte. Das sind wir aber auch denen schuldig, die damals im Widerstand ihr Leben einsetzten und den Millionen, die hingemordet wurden.
Lassen Sie uns ihrer gerade in dieser Stunde gedenken und damit das Versprechen verbinden, dass wir ihres Vermächtnisses stets eingedenk bleiben und uns an ihm orientieren wollen !
Und das nicht nur bei festlichen Gelegenheiten, sondern bis in unsere tägliche Arbeit hinein !”

Den vollständigen Redetext finden Sie hier

10.04.2008

10.04.1933: Deutscher Reichstag beschließt Ermächtigungsgesetz (aus Wikiedia)
Prälat Ludwig Kaas, Vorsitzender des katholischen Zentrums, begründete vor dem Reichstag das „Ja“ seiner Partei zum „Ermächtigungsgesetz“:

„Die gegenwärtige Stunde kann für uns nicht im Zeichen der Worte stehen, ihr einziges, ihr beherrschendes Gesetz ist das der raschen, aufbauenden und rettenden Tat. Und diese Tat kann nur geboren werden in der Sammlung.
Die deutsche Zentrumspartei, die den großen Sammlungsgedanken schon seit langem und trotz aller vorübergehenden Enttäuschung mit Nachdruck und Entschiedenheit vertreten hat, setzt sich zu dieser Stunde, wo alle kleinen und engen Erwägungen schweigen müssen, bewusst und aus nationalem Verantwortungsgefühl über alle parteipolitischen und sonstigen Gedanken hinweg. […]
Im Angesicht der brennenden Not, in der Volk und Staat gegenwärtig stehen, im Angesicht der riesenhaften Aufgaben, die der deutsche Wiederaufbau an uns stellt, im Angesicht vor allem der Sturmwolken, die in Deutschland und um Deutschland aufzusteigen beginnen, reichen wir von der deutschen Zentrumspartei in dieser Stunde allen, auch früheren Gegnern, die Hand, um die Fortführung des nationalen Aufstiegswerkes zu sichern.“
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Otto Wels

Für die sozialdemokratische Fraktion begründete der SPD-Vorsitzende Otto Wels die strikte Ablehnung der Gesetzesvorlage; er spricht die letzten freien Worte im Deutschen Reichstag:

„Die Wahlen vom 5. März haben den Regierungsparteien die Mehrheit gebracht und damit die Möglichkeit gegeben, streng nach Wortlaut und Sinn der Verfassung zu regieren. Wo diese Möglichkeit besteht, besteht auch die Pflicht. Kritik ist heilsam und notwendig. Noch niemals, seit es einen Deutschen Reichstag gibt, ist die Kontrolle der öffentlichen Angelegenheiten durch die gewählten Vertreter des Volkes in solchem Maße ausgeschaltet worden, wie es jetzt geschieht und wie es durch das neue Ermächtigungsgesetz noch mehr geschehen soll. Eine solche Allmacht der Regierung muss sich umso schwerer auswirken, als auch die Presse jeder Bewegungsfreiheit entbehrt […]

Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus. Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten […]
Auch aus neuen Verfolgungen kann die deutsche Sozialdemokratie neue Kraft schöpfen. Wir grüßen die Verfolgten und Bedrängten. Wir grüßen unsere Freunde im Reich. Ihre Standhaftigkeit und Treue verdienen Bewunderung.“

(Das Wortprotokoll verzeichnet mehrfach Beifall und Zustimmung bei den Sozialdemokraten und Lachen bei den Nationalsozialisten.)

Göring und Hitler schafften es, die bürgerlichen Parteien auf ihre Seite zu ziehen – zum einen durch Verhandlungen vom 20. März (siehe Tag von Potsdam), zum anderen durch eine wirksame Drohkulisse, die die SA im Ausweichquartier des ausgebrannten Reichstagsgebäudes, in der Krolloper, durch ihre Präsenz aufbaute. Die erzwungene Abwesenheit der KPD-Abgeordneten auf Grund von Verhaftung, Ermordung und Flucht erhöhte den Druck auf die bürgerlichen Parlamentarier.
Nach der Ausschaltung der KPD stimmte allein die SPD (94 Stimmen) im Reichstag gegen das Gesetz. Otto Wels hielt dabei die bedeutende letzte freiheitliche Rede im Reichstag (s.o.). 109 Abgeordnete verschiedener Fraktionen nahmen nicht an der Abstimmung teil:
· 26 Abgeordnete der SPD waren inhaftiert oder geflohen
· 81 Abgeordnete der KPD (die gesamte Fraktion) wurden vor der Abstimmung widerrechtlich verhaftet, ermordet oder waren geflüchtet und untergetaucht
· 2 weitere Abgeordnete fehlten aus unbekannten Gründen
Ausweislich des amtlichen Protokolls wurden insgesamt 538 gültige Stimmen abgegeben, 94 Abgeordnete stimmten mit nein. Alle anderen Abgeordneten (insgesamt 444) stimmten für das Gesetz.

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