Duisburg zu SED-Zeiten

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Ralf Jäger, Vorsitzender der SPD Duisburg, 13.11.2008:
Laut Presseveröffentlichungen hat OB Sauerland sich mit Blick auf die Duisburger Verwaltung zu der Behauptung verstiegen: „SPD und SED - das System war ein bisschen ähnlich.“

 

Sieh mal einer an! Da ist das Geschrei natürlich groß. Da wollen die Roten nicht so gern dran erinnert werden, wie es in Duisburg aussah – damals vor der Wende, als sie noch das Sagen hatten. Obwohl: was heißt schon „natürlich“? Ist es nicht Aufgabe unseres Oberbürgermeisters, ja geradezu seine ureigenste Pflicht, die Duisburger an ein dunkles Kapitel ihrer Geschichte zu erinnern. Es handelt sich zwar um jüngste Vergangenheit; aber wie viele Duisburger waren noch gar nicht auf der Welt oder konnten als kleine Kinder noch nicht begreifen, wie ihnen geschah? Wie viele haben einfach verdrängt, weil sie die Last der zurückliegenden Jahre einfach nicht mehr ertragen? Wie viele wollen davon nichts mehr hören, weil sie selbst auf die ein oder andere Art und Weise in das sozialistische System verstrickt waren?

Da muss doch einfach mal einer kommen und ganz tabulos die Wahrheit sagen. Oder noch besser: zwei. Denn auch ich will Ihnen kurz anhand von Beispielen erzählen, wie das damals so lief. Wagen wir also einen Blick zurück in finstere Zeiten.

Ein Blick zurück in finstere Zeiten

Ich will ehrlich sein: es war ja nicht alles schlecht. Arbeiterkinder konnten studieren. Zum Beispiel meine damalige Frau und ich. Mitte der 1980er Jahre hatte ich mein Studium beendet, und dann war etwas Kleines unterwegs. Wie es mir das Elternhaus mit auf den Weg gegeben hatte: erst die Ausbildung fertig Machen, dann eine Familie Gründen. Und man muss auch sagen: die Mieten waren damals günstig. Aber Sie glauben ja gar nicht, wie schwer das damals für junge Familien war, eine Wohnung zugewiesen zu bekommen. Jedenfalls, wenn man nicht in der Partei war.
War ich aber – was sollte ich denn machen? Bin ich auch heute noch; denn man weiß ja nie.

Die Plattenbau-Siedlung am Marientor – wie soll ich sagen: ich kannte halt Leute, die den Genossen, der vor Ort nach dem Rechten, äh: Linken gesehen hatte, persönlich kannten. Und so schaute ich halt täglich mal in seinen Kabuff rein – auf eine Tasse Kaffee. Er hatte ganz schön Bammel vor der anstehenden Herz-OP, und die Partei machte ihm Kummer. Er setzte auf Lafontaine. Was sollte ich denn machen? Mit Frau und Kind in der Studentenbude auf 25 Quadratmetern im vierten Stock unterm Dach, im Hausflur kein Platz für einen Kinderwagen – das ging doch nicht!

Duisburg zu SED-Zeiten

Die Verantwortung. Sicher hat auch mir damals eine Menge nicht gepasst. Aber man konnte ja nichts ändern. Und ich wollte mir nicht unnötig eine Menge Ärger einhandeln. Aber trotzdem: hinter vorgehaltener Hand haben wir darüber diskutiert, zum Beispiel, dass die Genossen ja mit Umwelt und so echt nichts am Hut hatten. In Hochfeld waren die Autos alle mit rotem Staub belegt. Sollte man aber nicht sagen, dass wohl die Kupferhütte dahintersteckt. Von wegen Arbeiterklasse und so. Mir sind die Schwermetalle auch nicht so gut bekommen. Aber für die Kinder haben sie gesorgt, muss ich schon sagen. Kindergärten und Grundschulen hatten sie dicht gemacht. Wegen Blei und Kadmium und so.
Einige so in meinem Alter sind dann hingegangen und haben sich von der Partei abgespalten. Also, das hätte ich mich nicht getraut. Die wurden zwar nicht verhaftet, andere Parteien waren ja zugelassen. Die Blockflöten konnten auch Bürgermeister oder so Etwas werden. In der Stadtverwaltung oder bei der Sparkasse wäre es besser gewesen, es wäre nicht rausgekommen, dass der Eine oder die Andere bei den Grünen war. Man wusste in der Partei auch schon, dass das keine Kommunisten sind; wohl deshalb flogen die auch nicht raus, wurden aber selbstverständlich auch nicht befördert.

Smog-Rock: Republikflucht oder Stadtflucht?

Dabei war das mit der Umwelt wirklich blöd. Winter 1984/85: wochenlang Inversionslage. Da hat sich der ganze Qualm natürlich ganz schön gestaut. Und da konnte man sehen, was die Genossen unter Freiheit verstehen. War ja klar: 1973 hat dieser Willy Brandt den Leuten schon das Autofahren am Sonntag verboten. Das war nicht ganz so schlimm, zum Beispiel auch deshalb, weil ich da ja noch gar keinen Führerschein hatte. Aber elfeinhalb Jahre später war es dann doch ein Schock: wieder gingen die Roten hin und traten Menschenrechte mit Füßen, hier: das Grundrecht auf freie Fahrt für freie Bürger.
Und zwar nicht nur am Sonntag, sondern werktags – nur werktags. Einen Tag durften nur die mit gerader Autonummer fahren, am nächsten Tag die ungeraden. So hatten sie es sich in den Kopf gesetzt und mit dem gesamten Polizeiapparat durchgezogen. Das fanden auch die Grünen gut, hat aber trotzdem nichts genützt. Und dann, im Januar 1985, haben sie, also die Roten, alle Autobahnen dicht gemacht. Keiner kam mehr nach Duisburg rein, keiner raus. – Nun ja, ich schon: die haben es nämlich zwei Stunden zuvor im Radio angekündigt, die Stümper! „Nee“, dachte ich mir ganz unwillkürlich, „jetzt reicht´s!“ Ich beschloss spontan, es war mehr so ein Reflex als ein Beschluss, rüber zu machen. Ich fuhr am Marientor den Autobahnzubringer hoch, gleichzeitig fuhr die Staatsmacht kolonnenweise runter. Alles gesperrt, und ich war weg! Ätschi Kokätschi! War das nun Republikflucht oder Stadtflucht? Wohl beides; ich bin nämlich nach Noordwijk gefahren. Sonne, Wind und Telefon. Nein, kein Handy, die Dinger gab es damals noch nicht. Telefonzelle – aber so direkt am Meer mit den Lieben daheim im Smog Erfahrungen Austauschen, das ging dann mal! Und dass es damals noch keine Handys gab, war ja nun wirklich nicht die Schuld der Duisburger Sozialisten.

Rheinhausen - von Duisburger Einheitspartei unter den Nagel gerissen

Eine andere Geschichte ist da schon vier Jahre später Rheinhausen (fünfzehn Jahre zuvor einfach von den Duisburger Genossen unter den Nagel gerissen). Der Vorsitzende des Stadtrates der Duisburger Demokratischen Republik war damals ein gewisser Josef Krings, dem im Winter 1988/89 eine List in den Sinn kam, die Unabhängigkeitsbestrebungen der immer noch ihrer Freiheit nachtrauenden Rheinhauser zu ersticken. Als es wegen einer rein betriebswirtschaftlichen Entscheidung, die eine auch in Rheinhausen angesiedelte Unternehmung betraf, zu in einer Demokratie und in einer Marktwirtschaft mitunter ganz natürlichen Verstimmung zwischen den Tarifpartnern gekommen war, stellte sich Genosse Krings an die Spitze der Unvernünftigen und entfachte einen Klassenkampf, wie ihn die Stadt noch nicht gesehen hatte. Die roten Methoden sind immer die gleichen: alle Brücken zwischen Duisburg und Rheinhausen wurden gesperrt. Wieder gab es weder ein Rein noch ein Raus. Dennoch verloren die Rheinhauser endgültig die gefühlten Reste ihrer Selbstständigkeit. Am Rande sei bemerkt, dass sich der Investor schließlich enttäuscht zurückgezogen hatte.

Der Traum von der Freiheit

Diese Beispiele mögen genügen. Es dürfte klar geworden sein: wie in der DDR hat auch in Duisburg sozialistische Herrschaft – wegen des ähnlichen Systems – zu wirtschaftlichem Niedergang, ökologischen Katastrophen und einem von Seilschaften mit Zuckerbrot und Peitsche kontrollierten Beziehungsgeflecht geführt. Und wenn die Roten nicht mehr weiter wussten, wurden einfach die Grenzen dicht gemacht.
Viele, zu viele haben dieses düstere Kapitel Stadtgeschichte vergessen. Dass der erste bürgerliche Oberbürgermeister nach dieser schweren Zeit die Courage gefunden hat, gegen Ende seiner Amtszeit all diese Dinge klar und deutlich anzudeuten, wird sein bleibendes Verdienst bleiben. Auch wenn die Blumen dieses Duisburger Frühlings verwelken, der Traum von der Freiheit an Rhein und Ruhr wird überleben.

Werner Jurga, 15.11.2008

 

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