Die nackte Kanone

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

DIE NACKTE KANONE

Ich gebe ja zu: ich sehe leidenschaftlich gern Agenten-Comedy-Filme, James-Bond -Persiflagen. Austin Powers zum Beispiel, aber noch besser – und bekannter: dreimal: die nackte Kanone. Leslie Nielson spielt darin Frank Dragon ... und der ist Spezialagent einer Spezialeinheit. Ja sicher, albern und niveaulos. Okay: ich brauche das schon mal. Einfach mal herzhaft lachen.

 

Heute (2007 !): Radio-Nachrichten, ZDF heute, ARD-Tagesschau – alle den gleichen Aufmacher. Es gab an Mauer und Stacheldraht einen Schießbefehl – dachte man sich schon, und – das ist das Neue – den sogar schriftlich!

In der Birthler-Behörde wurde der Zettel gefunden, zufälligerweise jetzt. Am Montag ist mal wieder Jahrestag des Mauerbaus; klar: da muss man so was am Samstag groß rausbringen. Und dann steht da in der Anweisung, den irgendein Geheimagent einer Spezialeinheit verfasst hat, auch noch etwas von „Frauen und Kindern“. Das ist was fürs Gemüt! Denn das weiß ja jeder, dass Frauen und Kinder für den Bestand des deutschen Volkes ungleich wichtiger sind als beispielsweise ich. Zwar ist jedes Leben gleich viel wert; andererseits: Frauen und Kinder kommen vor Männern – erst recht vor Mauermördern. Klar: Böse DDR!

Action-News: es gab an der Mauer einen Schießbefehl! Das steht zwar schon im Großen Brockhaus, letzte schriftliche Ausgabe, formuliert vor dem Mauerfall. Aber die Bolschekommunisten wollten es ja nicht zugeben (jedenfalls nicht vor den Strafgerichten). Doch jetzt liegt es vor: dieses wichtige Dokument der Neueren Geschichte.

In 28 Jahren Mauer haben etwa 150 Menschen dort ihr Leben gelassen. Tragisch genug! Und was jetzt: ob die gar nicht wussten, dass dort geschossen wird?! Ob die sich gedacht hatten:

„Mensch, keine Zigaretten im Haus, in dieser Scheiß-DDR gibt es nicht einmal einen Automaten, und schon gar keine Marlboro. Nun, kletterst Du halt mal eben über die Mauer!“

Natürlich nicht! In Wirklichkeit wusste jeder – in Ost oder West, dass die DDR abgeriegelt ist. Sonst hätte sie ja gar nicht existieren können. Ob es nun eine „Friedensgrenze“ war, wie bis zur „Wende“ an jedem 13. August in jedem Leitartikel noch von jedem WAZ-Chefredakteur zu lesen war – oder nicht, müßig: es war Kalter Krieg. Aber eins war klar: „Wenn man eine Mauer baut, muss man auch schießen; sonst könnte man ja eine Leiter dranstellen“ (Stefan Heym).

 

Und jetzt geht dieses Gejaule wieder los: Geheimdokument gefunden! Nicht für jeden Grenzsoldaten! Nur für Spezialeinheiten! Die Kanone ist nackt. „Stasi-Experte“ – zutiefst betroffen – labert was von „Anstiftung zum Mord“. Einfach mal herzhaft lachen.

Ja sicher, albern und niveaulos. Aber wer braucht das warum schon mal?

Geht es darum, die neue Partei „Die Linke“ als Ex-PDS und damit als Ex-SED als Menschenrechtsverletzer zu entlarven? Geht es darum, den Russen im allgemeinen und Herrn Putin im besonderen als Unmenschen in Erinnerung zu bringen? Der war nämlich damals in der DDR Spezialagent einer Spezialeinheit und lässt heute in Tschetschenien El-Kaida - Freiheitskämpfer von Geheimagenten abknallen.

Viel zu weit hergeholt: die deutsche Seele braucht ihr Opfer-Dasein. „Mein Gott, was haben wir gelitten! Was man uns angetan hat!“

Vor allem unseren ostdeutschen Brüdern und Schwestern. – Hierbei wird gern vergessen, dass der Eiserne Vorhang nicht nur ein paar Hundert Kilometer durch Deutschland verlief, sondern einige Tausend Kilometer lang war. Aber was interessieren uns schon die Randvölker, gar noch die östlichen. – So hält sich beharrlich die Mär, die deutsche Teilung sei so eine Art Strafe gewesen für die dunklen Jahre davor. Unsinn: die Teilung Europas war dem Kalten Krieg geschuldet und nichts anderem.

Aber es tut dem Sünder gut, sagen zu können, er habe seine Strafe verbüßt. Und die war verdammt hart: eingesperrt ohne Video, Marlboro, und sogar noch von Spezialagent einer Spezialeinheit bespitzelt worden. Politische Verfolgung bis hin zu Berufsverboten! Und wer raus wollte, aber an seinem Leben hing, musste erst einmal knapp zwei Jahre in den Knast, ehe ihn der Klassenfeind freikaufen konnte. – Wir wissen, auch dies war keine Strafe, nein: so sah es aus, das Sowjetsystem im Kalten Krieg.

Keine schöne Sache, aber Strafe für 50 Mio. Kriegstote und sechs Mio. Ermordete? Anstatt sich darüber zu freuen, nicht zwangskastriert in die Innere Mongolei umgesiedelt worden zu sein, brüsteten sich beide deutsche Staaten – aufgepäppelt von ihren Supermächten – sehr bald, in ihrem Lager jeweils die Nummer Zwei zu sein. Und seit der „Wende“ gibt es wieder ein Deutschland, vollständig souverän. Auch die ostdeutschen Landsleute dürfen wieder sagen, was sie wollen.

 

Allerdings nicht alles machen, was sie wollen: so bleiben auch hier die Opferzahlen alles in allem überschaubar: bereits bis jetzt wurden zwar (etwas) mehr Asiaten, Afrikaner, linke Zecken, Obdachlose, Behinderte ins Jenseits befördert als Flüchtlinge an Mauer und Stacheldraht. Aber: 17 Jahre sind noch keine 28 Jahre. Und: verboten ist es auch noch. Wie wir seit heute wissen: an der Mauer war es erlaubt, sogar befohlen, von einem Spezialagent einer Spezialeinheit. Ganz heimlich. Die deutschen Dumpfbacken, die heute töten, sind eher etwas unheimlich. Wie auch immer: Schuldige müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Wer hat den Zettel mit den Frauen und Kindern geschrieben? Der war doch bestimmt bei der Stasi, dieser Geheimagent einer Spezialeinheit. Frau Birthler, übernehmen Sie!

 

Werner Jurga, 11. August 2007

 

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