Die Linkspartei und das ganze System

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

„Die Moral im Lande ist intakt“ erklärt Professor Rödl in der aktuellen Ausgabe des „Spiegel“ (46 / 2008). Und international gesehen stehen die Deutschen gut da. Gerade auch die deutschen Schuldner; von denen ist nämlich im „Spiegel“-Artikel „Geld ist geil“ die Rede. „Die Wahrscheinlichkeit ist groß“, weiß Professor Rödl, „dass er das bezahlt, was er gekauft hat.“ Rödl, der nicht an einer Universität, sondern bei einem Inkassounternehmen sein geiles Geld verdient, weiß sogar von einer „Erschlaffung der Verbindlichkeitsstruktur“ zu berichten. Auch eher geil. Allerdings sei alsbald wieder mit einer Verhärtung derselben zu rechnen: total ungeil.

Aber, wie gesagt, die Moral im Lande ist intakt. Als vor Kurzem hier und da mit einer Massenpanik gerechnet wurde, bewahrten die Deutschen – ganz wichtig – die Ruhe. „Es gab eine gewisse Hysterie, aber sie hielt sich in Grenzen.“ Der „Spiegel“ schreibt: „Professor Rödl ist kein Mensch, der gute Laune verbreitet.“ Und ich bin sicher, dass es nicht Rödl war, der das Wort „geil“ in die Debatte eingeführt hat, sondern der „Spiegel“-Autor. Juan Moreno heißt er; alles klar? So einer kann natürlich nicht nachempfinden, wie wichtig eine intakte Moral im Lande ist und vor allem: Ruhe.
Ganz anders: Regina van Dinther, 50 Jahre alt, seit 1978 Mitglied der CDU und seit 2005 Präsidentin des Landtages NRW. Die Diplom-Ingenieurin ist Mutter von zwei Kindern und klärt uns über die Gefahr im Lande folgendermaßen auf:

„Die Linkspartei will Unruhe stiften“

Gestern in der WAZ; in der Printausgabe tritt uns ihre Warnung in fetten Lettern als Überschrift entgegen. Das ist ja klar: wenn wir eine Sache nicht leiden können, ist es Unruhe. Und überhaupt nicht leiden können wir Unruhestifter. Was mir bislang nicht ganz so klar war: warum müssen die so sein, so fies und gemein?
Frau van Dinther klärt auf: „Die Linkspartei will Unruhe stiften, weil sie derzeit noch das ganze System ablehnt.“ Ach so, deshalb. Und man beachte: „derzeit noch“; die werden also auch noch groß. Das ganze System Ablehnen geht natürlich nicht. Wobei ich allerdings an dieser Stelle gern noch nachfragen würde: welches System eigentlich.

Da könnte ich gewiss die Frau Landtagspräsidentin fragen; denn sie scheint ja wohl Bescheid zu wissen. Aber auch wenn ich der Frau van Dinther nichts unterstellen will: die frage ich lieber nicht. Sie ist ja dagegen – nicht gegen das „ganze System“, sondern gegen die Linkspartei, versteht sich. Frau Präsidentin ist selbstverständlich nicht gegen das ganze System, sondern vermutlich nur gegen das halbe System – vielleicht auch nur gegen ein Drittel desselbigen. Ich weiß es nicht; ich will es auch gar nicht wissen. Jedenfalls sagt sie Sachen wie „Ich bin aber sehr dafür, dass wir dort investieren, wo wir die Schwächsten aus ihrer Situation herausholen können“ oder „Kinder gehören nicht in Armut“. Eine Systemkritikerin also auf jeden Fall, aber auch – halten Sie sich fest: eine Systemveränderin. Weil nämlich, wie sie meint, „Kinder nicht in Armut gehören“, Achtung: „muss das Familiensplitting her."

Dann aber kann das ganze System bleiben, wie es ist - wobei freilich noch nicht beantwortet ist, was Landtagspräsidentin und Linkspartei nun darunter verstehen. Wahrscheinlich das „kapitalistische System“, und dann natürlich in seiner Gänze. Nehme ich jedenfalls an. Eigentlich wäre es doch einmal ganz interessant, von einer Ingenieurin etwas zu hören über den Unterschied zwischen einem ganzen System und einem, na sagen wir mal: unvollständigen System. Jemanden von der Linkspartei zu fragen, gegen welches System er oder sie so insgesamt ist („na, gegen das kapitalistische“) stelle ich mir dagegen nicht so aufregend vor. Ich würde fragen: und wie sollen wir es machen, und erhielte zur Antwort eine Schlagzeile, mit der die Duisburger Linken neulich ihre Zeitung aufgemacht hatten: „Sozialkämpfe ausweiten!“
Das ist freilich Geschmackssache und ich kann mir nicht vorstellen, dass demnächst mal diese Zeitung erscheint mit dem Aufmacher: „Sozialkämpfe einschränken!“ Also werden die Kämpfe ausgeweitet und ausgeweitet und ausgeweitet. Wahrscheinlich bis das ganze System unter der Wucht der Auseinandersetzungen zusammenbricht. Da hat Regina van Dinther also doch Recht: Unruhestifter! Wenn sich das nur nicht so stinklangweilig anhören würde, „derzeit noch“. Meint Frau van Dinther, in Duisburg hört man mitunter: „Ohne Leistung keine Gegenleistung!“

Mit so einem erzkapitalistischen Spruch mahnt Hermann Dierkes selbstverständlich nicht die heiligen Hartz-IV-Opfer, sondern die Sozialdemokraten. Warum nur, warum? Na egal: Die Moral im Lande ist intakt. Die Duisburger bewahren Ruhe. Und, wenn ich das auch noch hinzufügen darf: Geld ist und bleibt geil.

Werner Jurga, 12.11.2008

 

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