Benzinpopulismus

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

mit einer Anmerkung aus dem Lektorat

„Benzinpopulismus“ – okay, die Wortschöpfung ist nicht von mir, aber ziemlich gelungen. Wissen Sie, von wem ich diesen Begriff habe? – Na noch mal okay, war ja irgendwie klar, vom wem schon sonst ...

... als vom Generalsekretär meiner Partei. Sie kennen mich ja: man will es sich ja mit niemandem verscherzen. Gerade bei solch einem sensiblen Thema wie der Pendlerpauschale gilt: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste! Aber wenn es der Hubertus Heil sagt, z.B. letzten Sonntag bei der Anne Will, dann ist man auf der sicheren Seite. „Benzinpopulismus“ – voll krass: Volltreffer!
Letzten Dienstag war ich bei einer SPD-Veranstaltung, auf der Hubertus Heil als Hauptreferent gesprochen hat. Inhaltlich hat er das Gleiche gesagt wie in der Talkshow, nur auf das Wort vom „Benzinpopulismus“ hat er verzichtet. Er wird gewusst haben warum.
Nach dem offiziellen Teil der Veranstaltung wurde – wie das so geht – in kleinen Gruppen diskutiert. Und wer es nicht geschafft hatte, im Pulk um den Generalsekretär zu Wort zu kommen, hatte immerhin das Vergnügen, sich an mir schadlos zu halten. Tenor: warum nehmt „Ihr“ immer den kleinen Leuten das Geld ab? Und die besonders Gewitzten: erst verlangt Ihr von den Arbeitnehmern Mobilität und dann bestraft „Ihr“ sie auch noch dafür.

Zur Strafe: Keine Pendlerpauschale

Warum ich ganz selbstverständlich zu „denen“ gezählt wurde, erklärt sich leicht. Es waren wohl weder meine schlaue Brille noch meine schnieke Jacke. Allein schon der Umstand, dass ich Hubertus Heils Aussagen zur sog. „Pendlerpauschale“ applaudierte, machte deutlich, dass ich nicht einer von „uns“, sondern von „denen“ bin. Eben ein Fremder, was schon die Sprache verriet. Man war zwar (so eben noch) in NRW, aber doch schon im Rhein-Erft-Kreis. Nichts gegen unseren professoralen Sprecher für Gesundheitspolitik – die war übrigens eigentlich das Thema des Abends; das nur nebenbei -, kein Gedanke daran, dass es in unseren Gefilden auch nur ein Ideechen anders gelaufen wäre – abgesehen von dem Umstand, dass man mich nicht für einen Parteisprecher gehalten hätte. Anders an der Erft: sprichst Du nicht so wie Karl Lauterbach oder so ähnlich wie Ulla Schmidt, bist Du einer von „denen“, von denen ganz oben, die den kleinen Leuten ... Sie wissen schon.

So musste ich denn auch kleinlaut einräumen, dass es prekär Beschäftigte gibt, die von ihrer Firma alle Nase lang irgendwo anders hingeschickt werden - oder eben vom Arbeitsmarkt. Diesen armen Kerlen (seltener Weibern) wird weiß Gott Mobilität abgepresst. Aber von denen war in meiner kleinen Runde niemand dabei. Wahrscheinlich Zufall, aber wie auch immer: die SPD hat auch und gerade für die prekär Beschäftigten da zu sein. Aber doch nicht mit Steuererleichterungen auf Benzin oder Diesel! Hier wäre über Mindestlöhne, Lohnsubventionen zu reden, über die Bedingungen für Leiharbeitsunternehmen überhaupt. Zumal: diese Leute erhalten, wenn sie denn überhaupt steuerpflichtig sind, die Pendlerpauschale.
Denn Berufspendler können ja ihre Fahrtkosten von der Steuer absetzen. Wie Sie wissen, ist dies ab 20 km Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsplatz nach wie vor möglich. Hier sprechen wir von Pendlern. Wer keine 20 km fahren muss, also von Rheinhausen mit Ach und Krach etwa bis Mülheim-Stadtmitte, keineswegs bis Düsseldorf, ist überhaupt kein Pendler, erhält also auch – ich finde das logisch – keine Pendlerpauschale.
Aber ich müsse doch zugeben, dass den kleinen Leuten etwas weggenommen worden ist. Taktisch klug bin ich den Genossinnen und Genossen schon einmal damit entgegengekommen, dass ich vorschlug, über kleine Leute, die gar keine Arbeit haben, erst gar nicht zu reden. Das sind ja auch gegenwärtig gerade mal acht Prozent. Und Menschen, die gar kein Auto haben – klar: man kann sich nicht um alles und jeden kümmern.
Also bemühte ich mich um Sachlichkeit und stellte die Gegenfrage: was haltet Ihr eigentlich von Kinderfreibeträgen. Da wussten die Kritiker des Parteisprechers Jurga aber schwer Bescheid: die nutzen nur den Besserverdienenden. Stimmt: zieht man ein und denselben Betrag von der Steuerpflicht ab, bringt das bei einem höheren Bruttoeinkommen deutlich mehr – wegen der Progression. Und die „kalte Progression“ bringt es mit sich, dass wir hier nicht über Peanuts reden. Die SPD ist zu Recht einmütig für die Abschaffung des Kinderfreibetrags; Formel:  wir wollen, dass jedes Kind dem Staat gleich viel wert ist.
Kleine Ergänzung: der Kinderfreibetrag ist ein Pauschbetrag, eine Pauschale, wie übrigens auch – nomen est omen – die Pendlerpauschale. So blieb es mir nicht erspart, meinen Gesprächspartnern zu sagen, dass sie einer Politik für die Besserverdienenden das Wort reden, während ich für eine Politik des sozialen Ausgleichs kämpfe. Ich halte es nämlich für wichtig, nicht nur im eigenen Lande meine Beliebtheitswerte in die Höhe zu pushen, sondern auch in der Fremde. Gerade auch in der SPD.

Sie haben davon gehört: neun von sechszehn Landesverbänden sprechen sich (schon?) jetzt für die Wiedereinführung der alten Regelung aus, NRW (noch?) nicht.

Werner Jurga, 20.07.2008

                                                                                    

siehe auch:
Anmerkung aus dem Lektorat

P.S.: über die sog. „Pendlerpauschale“ ließe sich freilich noch wesentlich mehr sagen. Ich empfehle Ihnen einen Blick in den konservativen Rheinischen Merkur, wo Chefredakteur Michael Rutz über den „Biss auf Granit“ schreibt, und den Tagesspiegel-Kommentar des hier bereits häufiger erwähnten Henryk M. Broder, der für die völlige Streichung jeglicher Pendlerpauschale plädiert: „Wozu brauchen Pendler eine Pauschale“. Dass ich nicht mit der Staatsverschuldung argumentiere, versteht sich. Die Fortsetzung erscheint in Kürze.

 

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