Alan Posener, der Papst und die SPD

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Der Journalist Alan Posener ist schon seit zehn Jahren bei der „Welt“ bzw. bei der „Welt am Sonntag“. Dort bezieht er klar und pointiert Stellung, zum Beispiel vor gut zwei Jahren in der Debatte über das Rauchen in Gaststätten.
„Rauchen in öffentlichen Räumen ist vorsätzliche Körperverletzung der nicht rauchenden Mitmenschen“, eröffnet Posener seine Stellungnahme. Ich könnte freilich auch irgendein anderes markiges Statement zitieren; denn Posener knausert damit nicht. Doch liberal, wie ich nun einmal bin, habe ich ganz bewusst diese illiberale Einlassung gewählt, um gleich zu Beginn deutlich zu machen, dass ich nicht in allen Punkten umstandslos mit Posener übereinstimme. „In einer idealen Welt des freien Marktes“ – na sicher, so eine Welt wäre schon ideal; denn da „gäbe es längst mehr Nichtrauchergaststätten als Rauchergaststätten“, glaubt Alan Posener. Komisch nur, dass erst seit der Einführung der entsprechenden, ziemlich unfreien staatlichen Gesetzgebung die ideale Welt der Freiheit endlich auch den Gastronomie-Markt erreichen konnte. Allerdings: freier Markt bedeutete immer auch Pleite machen dürfen, bedeutet neuerdings auch, nach dem Abendessen einen kleinen Verdauungsspaziergang an die bzw. in der frischen Luft machen zu dürfen.

Am 1. September 2009 erschien ein neues Buch von Alan Posener. Der Titel lautet „Benedikts Kreuzzug: Der Angriff des Vatikans auf die moderne Gesellschaft“, womit ich das Thema gewechselt habe. Denn von Ratzinger sind keinerlei Predigten gegen das Rauchverbot in Wirtshäusern bekannt. Das bedeutet, dass Posener irgendetwas Anderes an der Kurie auszusetzen hat. Aber was?

"Ich greife den Papst an, weil er die Aufklärung angreift", erklärt der Autor dazu in einem Interview. Allerdings lesen wir dort auch, dass er ein Atheist sei. Nein, nicht der Heilige Vater; Posener selbst. Da ist er natürlich gegen die Kurie voreingenommen.
Im Religionsphilosophischen Salon ist „zu erfahren, wie sich der Vatikan mit reaktionären islamischen Staaten verbündet, um eigene Positionen durchzusetzen, etwa in der Abwehr von Frauenrechten oder im Kampf gegen die Gleichstellung homosexueller Lebensgemein-schaften. Interessant sind die Hinweise über die Kontakte zwischen dem Vatikan und dem Iran. Ausdrücklich lobt ein führender Jesuit aus Rom diesen fundamentalistischen, antisemitischen Staat, weil dort, so wörtlich, eben auch eine Hierarchie herrsche… Der Vatikan ist sich mit fundamentalistischen islamischen Staaten immer einig, wenn sie sich gemeinsam gegen kritische, angeblich blasphemische Karikaturen wehren. In diesen Fällen treten sie gemeinsam für die Einschränkung der freien Meinungsäußerung ein.“

Posener - Benedict

Dieser Beitrag wurde im NDR gesendet. Aber zu Hause ist Alan Posener, wie gesagt, bei Springers „Welt“. Dort erschien jetzt sein äußerst lesenswerter Text „O Gott! Die Religion kehrt zurück“. Darin schreibt Posener:
„Und dann rasten zwei Flugzeuge ins Herz Manhattans, und aus dem Feuerball verkündete Osama bin Laden den Endsieg Allahs. Die Religion war wieder da.
Plötzlich mussten sich Intellektuelle mit Begriffen auseinandersetzen, die sie in die obskursten Winkel der kleinsten Fakultäten verbannt hatten: Sunni und Schia, Scharia, Fatwa und Dschihad. Doch nicht nur der Islam hatte sich mit "9/11" zurückgemeldet. Osamas Todfeind im Weißen Haus, Präsident George W. Bush, war ein wiedergeborener Christ, der Sitzungen seines inneren Kreises mit einem gemeinsamen Gebet zu eröffnen pflegte. Und in Europa wurden ausgerechnet die zutiefst konservativen Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. zu Gegenständen geradezu kultischer Verehrung.
"Wir sind Papst!", titelte die "Bild" nach der Wahl Joseph Ratzingers zum Bischof von Rom. Die Zeile beschrieb eine veränderte geistige Landschaft: Noch am Anfang des Jahrtausends hätte es unter deutschen Intellektuellen fast als unschicklich gegolten, sich zum Katholizismus zu bekennen.“
 

Hier hat Posener die Beobachtungen auf den Punkt gebracht. Im morgen zu Ende gehenden ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts wurde eine „geistig-moralische Wende“ vollzogen, vor der in den letzten Jahrzehnten des alten Jahrhunderts linke und liberale Intellektuelle stets gewarnt hatten, von der Konservative aber nur träumen konnten. In den 00er Jahren wurde sie dann vollzogen: es ist wieder chic, von gestern, oder besser gesagt: von vorgestern zu sein.
Hier liegt eine Ursache für die gegenwärtige Schwäche der SPD. Es ist zwar nur ein, aber eben auch ein, allerdings bislang ganz und gar ausgeblendeter Aspekt in der Analyse der SPD-Wahlniederlagen. Für Aufklärung, Emanzipation oder gar Weltoffenheit sind Zeiten nicht gut, in denen Ratzinger und Konsorten tonangebend sind. Will aber, kann denn die SPD in diesen Zeiten überhaupt stehen für Aufklärung, Emanzipation oder gar Weltoffenheit?
Union, Grüne und Linke stehen qua ihrer Vereinssatzungszwecke für die gute, alte Zeit ein. Zugegeben: die drei Parteien unterscheiden sich nicht unwesentlich in der Bewertung dessen, was genau denn so gut war an der alten Zeit. Ob es aber nun die Ordnung, die Schöpfung oder die Fürsorge ist, der Heilige Vater hat für jede von ihnen ein Herz. Und dann wären da noch die Liberalen, die wie Posener „in eine ideale Welt des freien Marktes“ wollen. Zurück wollen?

Das jedenfalls will der Papst nicht. Und die SPD kann es nicht wollen. Aber was dann? Aufklärung, Emanzipation, Weltoffenheit? Etwa so etwas wie Fortschritt? Was soll das überhaupt heißen? Egal, schon allein das Wort: Fortschritt ist auf jeden Fall schon einmal überhaupt nicht angesagt. Mega-out!
 

Werner Jurga, 30.12.2009

 

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